Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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286 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> im kantischen System<br />
wußt werden, ... so bald wir uns Maximen des Willens entwerfen«.29<br />
Der Kategorische Imperativ drängt sich für sIch<br />
selbst uns auf.30 Das Faktum dieses Gesetzes »ist unleugbar«.31<br />
»Der gemeinste Verstand« vermag es zu sehen »ohne Unterweisung«.32<br />
»Dieser Grundsatz aber bedarf keines Suchens und<br />
keiner Erfindung; er ist längst in aller Menschen Vernunft gewesen<br />
und ihrem <strong>Wesen</strong> einverleibt, und ist <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong><br />
Sittlichkeit. «33<br />
Diese Sätze und insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> letzte klingen alle sehr<br />
merkwürdig und höchst mißverständlich. Der Kategorische<br />
Imperativ - eine unleugbare, unmittelbar einsichtige, und zwar<br />
<strong>der</strong> gemeinsten Menschenvernunft einsichtige, dem <strong>Wesen</strong> des<br />
Menschen einverleibte Tatsache? Also so etwas, was wir je<strong>der</strong>zeit<br />
als vorhanden vorfinden, ungefähr so, wie wir je<strong>der</strong>zeit<br />
feststellen, daß wir Nase und Ohren haben? Und zwar mit dem<br />
gemeinsten Verstand? Es bedarf also gar nicht einer philosophischen,<br />
spekulativen Beschäftigung und beson<strong>der</strong>er Veranstaltungen<br />
einer beson<strong>der</strong>en Methodik.<br />
Prüfen wir die kantische Behauptung. Wenn wir uns selbst<br />
ganz konkret jetzt so dasitzend unmittelbar und unvoreingenommen<br />
beobachten, ohne jede Zuhilfenahme von philosophischem<br />
Wissen und Kenntnissen, finden wir dann in uns als Tatsache<br />
den Kategorischen Imperativ vor? Finden wir <strong>der</strong>gleichen<br />
wie das Faktum jener For<strong>der</strong>ung: »Handle so, daß die Maxime<br />
deines Willens je<strong>der</strong>zeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen<br />
Gesetzgebung gelten könne«? Nichts von all dem. Wir finden<br />
vielmehr und haben es wohl schon bei <strong>der</strong> ersten Vorgabe<br />
dieses Grundgesetzes gleich so gefunden, daß dieser Grundsatz.<br />
philosophisch ausgedacht, innerhalb eines bestimmten philosophischen<br />
Systems sich ergibt. Was wir finden können, ist höch-<br />
29 a a.O., S. 34 (V, 53).<br />
30 Vgl. a.a.O., S. 36 f. (V, 5b).<br />
31 a.a.O., S. 37 (V, 56).<br />
32 a.a.O., S. 31 (V, 49).<br />
33 a a.O., S. 122 (V, 188).<br />
§ 28. Das Bewußtsein <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> 287<br />
stens die Erklärung, daß gerade Kant auf diesen Kategorischen<br />
Imperativ verfallen ist. Man hat diese geistesgeschichtliche Erklärung<br />
j a auch schon längst gefunden, und man pflegt mit ihrer<br />
Hilfe die Sache selbst verständlich zu machen. Kategorischer<br />
Imperativ <strong>der</strong> reinen praktischen Vernunft - das gehört in das<br />
Zeitalter <strong>der</strong> Aufklärung, in die Zeit des Preußischen Staates<br />
Friedrichs des Großen. Mit den Mitteln heutiger Denkweise<br />
ausgedrückt: Der Kategorische Imperativ ist eine bestimmte,<br />
soziologisch eigentümlich bedingte philosophisch-ethische Ideologie,<br />
aber beileibe nicht das allgemeinste Gesetz <strong>menschlichen</strong><br />
Handeins überhaupt o<strong>der</strong> gar des Handeins eines jeden endlichen<br />
Vernunftwesens, als was Kant dieses Grundgesetz aufgefaßt<br />
wissen möchte. Wir verzichten hier darauf, zu erörtern,<br />
wie weit eine geistes geschichtlich soziologische Erklärung etwas<br />
zum Sachverständnis einer philosophischen Problematik beitragen<br />
kann. Wir wollen ruhig zugeben, daß Aufklärung, preußischer<br />
Staat und <strong>der</strong>gleichen wirkende Mächte waren für das<br />
konkrete Dasein Kants und auch für seine philosophische Arbeit.<br />
Wir müssen sogar betonen, daß es unnatürlich wäre, wenn<br />
<strong>der</strong>gleichen fehlte.<br />
§ 28. Das Bewußtsein <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
und ihrer Wirklichkeit<br />
a) Reiner Wille und Wirklichkeit.<br />
Die Eigenart des willentlichen Wirklichen als Tatsache<br />
Ist aber mit all dem etwas von dem verstanden, worum es sich<br />
handelt? O<strong>der</strong> beweisen wir mit solchem geistesgeschichtlichen<br />
und soziologischen Gerede nur, daß wir nichts verstanden haben,<br />
d. h. daß wir nicht einmal die elementarste Grundbedingung<br />
für die Möglichkeit des Verständnisses kennen, geschweige<br />
denn erfüllen? Ist das so, dann ergibt sich zunächst das eine:<br />
Es liegt gar nicht am Tage für das alltägliche Verständnis und