23.11.2013 Aufrufe

Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

74 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />

Hauptbedeutungen. Offenbar hängt von <strong>der</strong> Rechtmäßigkeit<br />

dieser Interpretation alles Folgende ab. Denn angenommen,<br />

diese Interpretation von Sein, ovuLa, als beständige Anwesenheit<br />

wäre nicht stichhaltig, dann bestände kein Anhalt dafür, einen<br />

Problemzusammenhang von Sein und Zeit zu entfalten, wie es<br />

die Grundfrage for<strong>der</strong>t.<br />

Allein, so große Bedeutung die antike Metaphysik überhaupt<br />

und die ihr folgende abendländische Metaphysik für unser Problem<br />

haben, so weit geht die Tragweite doch nicht. Denn gesetzt,<br />

die von uns dargelegte Interpretation des Seins wäre aus<br />

irgendwelchen Gründen nicht durchführbar, so könnte unmittelbar<br />

aus unserem eigenen Verhalten zum Seienden die behauptete<br />

Orientierung des Seinsverständnisses dargelegt werden. Daher<br />

müssen wir sagen, wir entfalten die Leitfrage <strong>der</strong> Metaphysik<br />

zur Grundfrage (Sein und Zeit) nicht deshalb, weil in <strong>der</strong> Antike<br />

schon und späterhin, freilich zwar unausgesprochen, Sein aus <strong>der</strong><br />

Zeit verstanden würde, son<strong>der</strong>n umgekehrt, weil, wie sich zeigen<br />

läßt, das menschliche Seinsverständnis das Sein aus <strong>der</strong> Zeit<br />

verstehen muß. Deshalb muß überall da, wo das Sein irgendwie<br />

Thema wird, das Licht <strong>der</strong> Zeit zum Vorschein kommen. Unsere<br />

These, OVULa besagt beständige Anwesenheit, d. h. diese Interpretation<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Metaphysik, kann nie als Begründung<br />

des Problems von Sein und Zeit in Frage kommen, son<strong>der</strong>n<br />

dient nur als Beispiel <strong>der</strong> Entfaltung und Vorführung des Problems.<br />

Noch mehr, wir können diese Zusammenhänge in <strong>der</strong> antiken<br />

Seinsauffassung gar nicht erblicken und finden, wenn wir<br />

nicht schon den sachlichen Zusammenhang philosophierend uns<br />

klargemacht haben.<br />

Freilich hat die Geschichte <strong>der</strong> Metaphysik doch noch eine an<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung für unsere eigene Problemfindung als die des<br />

Exemplarischen. Wir können zwar nie ein Problem o<strong>der</strong> eine<br />

These autoritativ begründen und uns darauf stützen, weil es<br />

Platon o<strong>der</strong> Kant gesagt haben. Trotzdem hat <strong>der</strong> Rückgang in<br />

die Geschichte einen an<strong>der</strong>en als nur Beispielswert, als sei er nur<br />

Gelegenheit, ein früheres, jetzt überwundenes Stadium des Pro-<br />

§ 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 75<br />

blems zu zeigen. Abgesehen davon, daß es in <strong>der</strong> Philosophie<br />

keinen Fortschritt gibt, son<strong>der</strong>n jede echte Philosophie so klein<br />

und so groß ist wie jede an<strong>der</strong>e, hat doch die frühere Philosophie<br />

eine wenngleich verborgene ständige Auswirkung auf unser<br />

heutiges Dasein. Wenn wir daher den antiken Seinsbegriff zu<br />

fassen versuchen, so ist das keine Sache einer äußerlichen historischen<br />

Kenntnisnahme. Wir werden sehen, daß er in einer gewandelten<br />

Form in Hegels Metaphysik noch da ist. Auf den inneren<br />

Zusammenhang <strong>der</strong> hegeIschen Metaphysik mit <strong>der</strong> antiken ist<br />

jetzt nicht einzugehen, umso mehr als wir den antiken Seinsbegriff<br />

nur in einigen Ausprägungen verfolgten. Wir hielten uns<br />

bei <strong>der</strong>en Auswahl an das, was wir rein systematisch-sachlich<br />

über die Bedeutung des Seins anführten bei <strong>der</strong> Kennzeichnung<br />

des Seinsverständnisses. Wir sprachen von <strong>der</strong> anfänglichen Geglie<strong>der</strong>theit<br />

des Seins, die wir uns näher brachten durch die verschiedenen<br />

Bedeutungen des >istist weiß< drückt das Weiß sein aus, also<br />

das Soundso-sein <strong>der</strong> Kreide; so und so: was ihr nicht notwendig<br />

zukommt, sie könnte auch rot o<strong>der</strong> grün sein. Sagen wir:<br />

»Die Kreide ist ein materielles Ding«, dann meinen wir auch ein<br />

Sein <strong>der</strong> Kreide, aber kein beliebiges, son<strong>der</strong>n solches, das zu ihr<br />

gehört, gehören muß, wenn sie soll sein können, was sie ist. Dieses<br />

Sein ist kein beliebiges Soundso-sein, son<strong>der</strong>n ein für sie notwendiges<br />

Was-sein. Sagen wir: »Die Kreide ist«, d. h. »ist vorhanden«,<br />

etwa gegenüber einer versuchten Behauptung, sie sei<br />

nur eingebildet, dann besagt Sein Vorhanden-sein (Wirklichkeit).l<br />

Sagen wir ferner die jetzt erwähnten Sätze in einer bestimmten<br />

Betonung: »Die Kreide ist weiß«, »Die Kreide ist ein<br />

ma terielles Ding «, »Die Kreide ist vorhanden «, dann meinen wir<br />

mit <strong>der</strong> Betonung wie<strong>der</strong>um ein bestimmtes Sein. Wir wollen<br />

sagen: Es ist wahr - das Was-sein <strong>der</strong> Kreide, das Ding-sein,<br />

das Vorhanden-sein. Wir meinen jetzt das Wahrsein.<br />

1 Kant: Dasein; vgl. dagegen meine Terminologie.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!