Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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34 Erstes Durchbrechen des <strong>Freiheit</strong>sproblems<br />
bestimmte Seiende unter das Seiende als solches, aber so ganz im<br />
Allgemeinsten und Weitesten, daß offenbar die Frage nach dem<br />
Seiende als solchem das beson<strong>der</strong>e Seiende nicht mehr beson<strong>der</strong>s<br />
angehen kann. Es ist also nicht etwa nur wie bisher dunkel, inwiefern<br />
das >ins-Ganze-Fragen< so viel besage wie: uns an die<br />
Wurzel gehen, son<strong>der</strong>n es ist überhaupt unmöglich. Denn nach<br />
dem Seienden überhaupt fragen, heißt: wegfragen von jedem<br />
beson<strong>der</strong>en Seienden, mithin auch vom Menschen. Wie<br />
soll in solchem Wegfragen von uns ein Angriffscharakter liegen<br />
und überhaupt liegen können? Das An-die-Wurzel-Gehen<br />
muß als Angriff zum mindesten die Richtung auf uns zu,<br />
uns selbst ins Ziel nehmen. Das Fragen nach dem Seienden im<br />
allgemeinen, gleichgültig ob Tier o<strong>der</strong> Mensch, ist kein Losgehen<br />
auf uns selbst als solche, mithin alles an<strong>der</strong>e denn ein<br />
Angriff auf uns. Das Wegfragen ins Allgemeinste ist vielmehr<br />
Flucht vor uns als einem beson<strong>der</strong>en Seienden und so vor jedem<br />
Seienden.<br />
Wenn wir demnach das gewählte Problem, die Frage nach<br />
dem <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong>, gerade von seinem vollen<br />
und letzten Problemgehalt her nehmen, von <strong>der</strong> Frage nach dem<br />
Seienden als solchem, dann wird einsichtig: Dieses Ins-Ganze<br />
Fragen geht uns nicht nur nicht an die Wurzel, es geht überhaupt<br />
nicht einmal an uns, sofern wir diese Menschen sind. Es<br />
bleibt dabei: Die These, das Ins-Ganze-Fragen sei ein An-die<br />
Wurzel-Gehen, ist eine willkürliche Behauptung, <strong>der</strong>en Recht<br />
aus dem Sachgehalt des betreffenden Fragens in keiner Weise zu<br />
erhärten ist. Wir können dafür noch einen weiteren Beleg anführen,<br />
dessen Beweiskraft doch nicht einfach in den Wind geschlagen<br />
werden kann.<br />
Wir sagten, die Frage, in <strong>der</strong> das <strong>Freiheit</strong>sproblem gemäß unserer<br />
Enthüllung seiner eigenen Perspektive ruht, die Frage nach<br />
dem Seienden als solchem, sei so alt wie die abendländische Philosophie.<br />
Wenn wir <strong>der</strong>en Geschichte überblicken, dann zeigt<br />
sich, daß diese Frage nie und nirgends dazu drängte, das Fragen,<br />
die Philosophie in sich, als ein An-die-Wurzel-Gehen - dem<br />
§ 5. Der fragliche Angriffscharakter 35<br />
Fragenden nämlich - zu fassen. Im Gegenteil, das immer wie<strong>der</strong><br />
aufgegriffene Bemühen, vor allem seit Beginn <strong>der</strong> neuzeitlichen<br />
Philosophie, ging darum, die Philosophie endlich zum Range<br />
einer Wissenschaft bzw. <strong>der</strong> absoluten Wissenschaft zu erheben,<br />
als theoretisches Verhalten schlechthin, als reine Contemplation,<br />
als spekulative Erkenntnis (Kant), worin ganz und gar nichts<br />
von Angriff liegen kann und liegen sollte.<br />
Der innere Gehalt <strong>der</strong> Frage nach dem Seienden als solchem<br />
zeigt ebensowenig wie die Geschichte dieser Frage, in die das<br />
<strong>Freiheit</strong>sproblem eingebaut ist, den von uns behaupteten Angriffscharakter.<br />
Ist das so, dann ergibt sich auch, daß unsere<br />
These vom Angriffscharakter des Ins-Ganze-Fragens des Philosophierens<br />
ganz und gar nicht selbstverständlich ist, am allerwenigsten<br />
für die Philosophie und ihre landläufige Interpretation.<br />
Die Erläuterung <strong>der</strong> These und ihre Bewährung liegen keineswegs<br />
auf <strong>der</strong> Hand, so nahe uns die alltägliche und fast >natürliche<<br />
Meinung liegt, die Philosophie müßte, wie die Phrase<br />
lautet, >Lebensnähe< haben.<br />
Die Erörterung <strong>der</strong> These vom Angriffscharakter <strong>der</strong> Philosophie<br />
bringt uns in eine merkwürdig zwiespältige Lage: Auf<br />
<strong>der</strong> einen Seite entspricht unsere These <strong>der</strong> ganz natürlichen Ansicht<br />
von <strong>der</strong> Philosophie, wonach Philosophie mit dem Menschen<br />
selbst zu tun und auf sein Handeln Einfluß haben soll.<br />
Mag auch die Auslegung, die <strong>der</strong> gemeine Verstand dieser überzeugung<br />
gibt, und die entsprechende Vorstellung von Philosophie<br />
noch so verworren und abwegig sein und das größte Mißtrauen<br />
herausfor<strong>der</strong>n; denn unter >Lebensnähe< versteht man die<br />
Anbie<strong>der</strong>ung des Tuns und Strebens an die sogenannten heutigen<br />
Bedürfnisse. Allein, das ist eben das Schwierige, denn - um<br />
zu wie<strong>der</strong>holen - die natürliche vorphilosophische Erfahrung<br />
und überzeugung verlangt, was wir zuvor schon <strong>der</strong> Philosophie<br />
versagt haben. Ihre sogenannte >Lebensnähe< also ist Charakterlosigkeit<br />
in Größe. Wenn aber Philosophie eine letzte und erste<br />
Möglichkeit <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> Existenz überhaupt ist, wird man<br />
ihr solches Tun nicht aufreden wollen, son<strong>der</strong>n umgekehrt von