Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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250 Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches Problem<br />
haben wir nicht den mindesten Begriff, mithin auch nicht von<br />
den Verstandeswesen, auf die er gehen soll.«13 Der intelligible<br />
Charakter ist daher die Weise des Ursacheseins einer Ursache,<br />
die als solche bloß durch den Verstand ohne Sinnlichkeit erkannt<br />
werden müßte, wenn sie erkannt werden könnte.<br />
Wodurch wird nun aber Kant auf diese Unterscheidung des<br />
empirischen und intelligiblen Charakters geführt? Eben durch<br />
das allgemeine Problem einer möglichen Vereinigung bei<strong>der</strong><br />
Kausalitäten. Versuchen wir, uns das Problem noch einmal<br />
ganz elementar vor Augen zu legen. Die mögliche Vereinigung<br />
bei<strong>der</strong> Kausalitäten for<strong>der</strong>t, daß eine und dieselbe Wirkung in<br />
verschiedener Hinsicht zugleich kausal bestimmt sei. Demnach<br />
muß gefragt werden: Ist überhaupt eine solche Wirkung möglich?<br />
Wirkung als sich Ergebendes und Begebendes ist allemal<br />
in <strong>der</strong> Erfahrung sich Zeigendes, Erscheinung. So nimmt das<br />
Problem folgende Gestalt an: Läßt überhaupt eine Erscheinung<br />
als Erscheinung es zu, in zweifacher und gar grundverschiedener<br />
Beziehung zu stehen? Erscheinung als etwas in <strong>der</strong> Zeit sich<br />
Begebendes steht offenbar in Beziehung zu Erscheinungen, die<br />
ihr zeitlich vorhergehen und nachfolgen. Hier ist also eine<br />
Art von Beziehung <strong>der</strong> Erscheinung als solcher zu etwas, nämlieh<br />
wie<strong>der</strong> zu Erscheinungen. Allerdings, aber damit ist doch<br />
auch die Möglichkeit von Beziehungen, in denen eine Erscheinung<br />
stehen kann, erschöpft. Hat die Erscheinung als solche<br />
keine an<strong>der</strong>e Beziehung zu etwas? Die Erscheinung, das Erscheinende<br />
ist doch das Seiende selbst. Gewiß, aber nur sofern<br />
es und soweit es für menschliche Erkenntnis sich zeigt. Was es,<br />
das sich Zeigende, an sich, schlechthin genommen, d. h. für ein<br />
absolutes Erkennen ist, das wissen wir nicht. Aber schon indem<br />
wir dies nicht wissen, meinen und denken wir dabei eben jenes.<br />
das wir nicht wissen. Das ist nicht das Erscheinende, son<strong>der</strong>n<br />
das Unbekannte, das X, <strong>der</strong> transzendentale Gegenstand. Er<br />
13 Kant, Prolegomena. § 34, S. 78 (IV, 317) Anm. Die ,Intelligenzen<<br />
als Gegenbegriff zu ,Phaenomenon< gleich ,Sinnenweseneses< ist das Erscheinende,<br />
so zwar, daß es eben als Erscheinendes sich nicht >an<br />
sich< zeigt, nicht wie es absolut ist, d. h. nicht wie es als nicht<br />
Erscheinendes ist. 14 Das X ist Gegenstand, aber ganz leer; jedoch<br />
als dieser leere nicht Erscheinung, nicht sinnlich, son<strong>der</strong>n<br />
intelligibel, aber negativ intelligibel, nur nicht weiter erkannt.<br />
Das X ist <strong>der</strong> intelligible Gegenstand, das Intelligible am Gegenstand.<br />
Dies, wohl verstanden, ganz allgemein ontologisch,<br />
für jeden gültig. Aber dieses X ist kein abgeson<strong>der</strong>ter Gegenstand<br />
<strong>der</strong> Erkenntnis an sich selbst. Demgemäß sagt Kant:<br />
». " so hin<strong>der</strong>t nichts, daß wir diesem transzendentalen Gegenstande,<br />
außer <strong>der</strong> Eigenschaft, dadurch er erscheint, nicht<br />
auch eine Kausalität beilegen sollten, die nicht Erscheinung ist,<br />
obgleich ihre Wirkung dennoch in <strong>der</strong> Erscheinung angetroffen<br />
wird. «15 Was nicht Erscheinung ist, ist aber intelligibel. Gemäß<br />
dieser Doppelbeziehung <strong>der</strong> Erscheinung als solcher kann sie<br />
als solche mit an<strong>der</strong>en Erscheinungen in Beziehung stehen, Wirkung<br />
einer Erscheinung sein und als diese zugleich bezogen sein<br />
auf intelligible Ursachen.<br />
Aus dem <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> Erscheinung ist so die Möglichkeit dieser<br />
Doppelbeziehung mit Bezug auf ein und dasselbe deduziert<br />
und mithin die Möglichkeit des Anspruchcharakters zweier<br />
grundverschiedener Kausalitäten an ein und <strong>der</strong>selben Begebenheit<br />
als Wirkung. Der wesenhafte Doppelcharakter <strong>der</strong> Erscheinung,<br />
daß sie einmal als Erscheinung mit an<strong>der</strong>en Erscheinungen<br />
zusammenhängt, daß sie aber auch als Erscheinung<br />
Erscheinung eines Erscheinenden (X) ist, enthält die grundsätzliche<br />
Möglichkeit <strong>der</strong> Beziehbarkeit eines und desselben auf<br />
14 V gl. Kant, Kr. d. r. V., A 249 ff. und insbeson<strong>der</strong>e A 251 f. zum Begriff<br />
<strong>der</strong> Erscheinung überhaupt. Ferner B 307 zum Begriff des Noumenon<br />
im negativen und positiven Verstande.<br />
15 a.a.O., A 538 f., B 566 f.