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Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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270 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> im kantischen System<br />

fahrung unter den vorhandenen Naturdingen. I-Iieraus wird<br />

ersichtlich: <strong>Freiheit</strong> kann sehr wohl eine Tatsache sein und<br />

braucht doch nicht ein Erfahrungsbegriff zu werden. Die beiden<br />

Aussagen: <strong>Freiheit</strong> ist Tatsache - <strong>Freiheit</strong> ist kein Erfahrungsbegriff,<br />

schließen sich nicht aus. Allerdings bleibt bisher<br />

noch unbestimmt, wie nun diese nicht erfahrungsmäßig ausweisbare<br />

Tatsächlichkeit (Wirklichkeit) verstanden werden soll,<br />

die <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> nach Kant zukommt, zumal Kant an<strong>der</strong>erseits<br />

auch wie<strong>der</strong> davon spricht, daß die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> sich in <strong>der</strong><br />

Erfahrung dartun läßt. Dem neuen Begriff von Tatsächlichkeit<br />

entspricht dann auch ein neuer Begriff von Erfahrung.<br />

Nun könnte man dem ganzen Problem eine Wendung geben.<br />

die zugleich zu einer einfachen Lösung führt. Man könnte darauf<br />

hinweisen, daß Kant ja nicht sagt: Die <strong>Freiheit</strong> ist eine<br />

Tatsache, son<strong>der</strong>n: »Die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>« ist eine Tatsache.<br />

Das heißt aber doch, es ist Tatsache, daß wir die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

haben, daß in unserem Vorstellen als einem Geschehenszusammenhang<br />

seelischer Akte auch <strong>der</strong> Akt des VorsteIlens von<br />

<strong>Freiheit</strong> vorkommt, tatsächlich ist, was aber doch gar nichts besagt<br />

über die Tatsächlichkeit des in diesem tatsächlichen Vorstellen<br />

Vorgestellten. Das Vorkommnis des VorsteIlens und<br />

Denkens von praktischer <strong>Freiheit</strong> läßt sich durch psychologische<br />

Erfahrung je<strong>der</strong>zeit dartun. Eine solche Interpretation Kants<br />

wäre jedoch ganz irrig. Zwar sagt Kant: Die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

ist eine Tatsache, aber das heißt eben, daß das in dieser Idee<br />

begrifflich Vorgestellte, das damit gegenständlich Gemeinte,<br />

sich anschaulich als Wirkliches dartun läßt. Kant sagt ausdrücklich<br />

von <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>: »Die einzige unter allen Ideen<br />

<strong>der</strong> reinen Vernunft, <strong>der</strong>en Gegenstand Tatsache ist, und unter<br />

die scibilia mit gerechnet werden muß. «8<br />

Das Problem <strong>der</strong> wirklichen <strong>Freiheit</strong> ist also <strong>der</strong> Nachweis<br />

ihrer Wirklichkeit. Allein, das besagt etwas an<strong>der</strong>es als nur<br />

einen in <strong>der</strong> Erfahrung antreffbaren Fall wirklichen Freiseins<br />

8 a.a.O., S. 357 (V, 454). Unterschied von opinabile, scibile, mere credibile.<br />

V gl. oben S. 268.<br />

§ 27. Die Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> 271<br />

ausfindig zu machen. Es besagt, die Art <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong><br />

<strong>Freiheit</strong> aufzuweisen und <strong>der</strong> zugehörigen anschaulichen Ausweisung.<br />

<strong>Freiheit</strong> ist Tatsache, d. h. die Tatsächlichkeit dieser<br />

Tatsache ist gerade das entscheidende Problem. Wenn Kant<br />

sagt, daß wir die <strong>Freiheit</strong> »als etwas Wirkliches nicht einmal in<br />

uns selbst und in <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> Natur beweisen«9 können,<br />

dann heißt das nur, daß sie nicht erfahrbar ist wie ein vorhandenes<br />

Naturding. Dessen Realität ist allemal eine objektive,<br />

d. h. sein Wasgehalt ist vorfindlich in den wirklichen Objekten<br />

<strong>der</strong> zeitlich-räumlichen Erfahrung. Wenn <strong>Freiheit</strong> nichts<br />

<strong>der</strong>gleichen ist, aber doch Tatsache, dann heißt dies, daß die<br />

Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>, d. h. das, als was sie wesensmäßig vorgestellt<br />

werden muß, in an<strong>der</strong>er Weise, nicht durch Naturdingerfahrung,<br />

anschaulich darstellbar ist. Die Realität <strong>der</strong><br />

<strong>Freiheit</strong> for<strong>der</strong>t eine an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Wirklichkeit, als sie die Naturobjekte<br />

zeigen, sie ist keine objektive Realität. O<strong>der</strong> falls<br />

man Wirklichkeit, wie Kant das auch hier tut, weiter faßt als<br />

objektive Wirklichkeit, dann ist die objektive Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

hinsichtlich ihrer Objektivität unterschieden gegenüber<br />

<strong>der</strong> Objektivität <strong>der</strong> Naturdinge. Die Tatsächlichkeit, die <strong>der</strong><br />

Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> entspricht, ist die <strong>der</strong> Praxis. Im praktischen,<br />

willentlichen Handeln ist das, was wir mit <strong>Freiheit</strong> meinen,<br />

ihre Realität, erfahrbar. Die <strong>Freiheit</strong> hat praktische Realität<br />

bzw. ihre objektive Realität ist hinsichtlich ihrer Objektivität<br />

praktisch. Jetzt verstehen wir den Satz Kants: »unter den<br />

Tatsachen« findet sich auch »die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>, <strong>der</strong>en Realität,<br />

als einer beson<strong>der</strong>en Art von Kausalität ... sich durch praktische<br />

Gesetze <strong>der</strong> reinen Vernunft, und, diesen gemäß, in wirklichen<br />

Handlungen, mithin in <strong>der</strong> Erfahrung, dartun läßt.«lo<br />

Hierin haben wir zugleich eine Anweisung, in welcher Richtung<br />

das Problem <strong>der</strong> wirklichen <strong>Freiheit</strong>, d. h. ihrer Wirklichkeit,<br />

angesetzt werden muß, wohin wir uns wenden müssen,<br />

Um den zweiten Weg einschlagen zu können. Die Realität <strong>der</strong><br />

9 Kant, Grundlegung zur Metaphysik <strong>der</strong> Sitten. S. 77 (IV, 448)<br />

10 Kant, Kr. d. U, § 91, S. 358 (V, 457).

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