28 Erstes Durchbrechen des <strong>Freiheit</strong>sproblems eine Begebenheit, sie auf sich folgen lassen. Was etwas (eine Sache) <strong>der</strong>gestalt auf sich folgen läßt, das ist nach Kantfür jenes etwas die Ursache. In <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Spontaneität, des Anfangens und Folgenlassens handelt es sich um die Frage nach <strong>der</strong> Ursache. Dieses, das Ursachesein einer Ursache (causa), nennt Kant die Kausalität (die Kausalität <strong>der</strong> causa). In diesem Sinne spricht er direkt von <strong>der</strong> »Kausalität <strong>der</strong> Ursache«3. Kausalität <strong>der</strong> Ursache heißt aber nicht Ursache <strong>der</strong> Ursache, son<strong>der</strong>n das Ursachesein einer Ursache: daß und wie eine Ursache Ursache ist. Nun steht nach Kant alle Erfahrung, d. h. alle theoretische Erkenntnis <strong>der</strong> vorhandenen Natur, unter dem Grundsatz des Gesetzes <strong>der</strong> Kausalität. Dieses Gesetz des Ursacheseins des einen in <strong>der</strong> Erfahrung gegebenen Seienden für das an<strong>der</strong>e, d. h. das Gesetz des Verursachtseins des an<strong>der</strong>en durch das eine lautet nach Kant
30 Erstes Durchbrechen des <strong>Freiheit</strong>sproblems in <strong>der</strong> Orientierung an Karrt gewonnene Perspektive fest, dann besagt das: Nach dem <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> fragen, also nach ihrem Was, nach <strong>der</strong> inneren Möglichkeit und dem Grunde <strong>der</strong>selben, - so nach dem <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> fragen, heißt: das <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> Kausalität, des Ursacheseins, zum Problem machen. Wohin bewegen wir uns fragend, wenn wir so das <strong>Wesen</strong> des Ursacheseins aufhellen wollen? Erst mit <strong>der</strong> Antwort auf diese Frage ist die Weite des <strong>Freiheit</strong>sproblems ausgemessen. Ursachesein besagt unter an<strong>der</strong>em: Folgenlassen, Anfangen; es gehört in den Zusammenhang dessen, was vor sich geht; es ist ein Charakter <strong>der</strong> Vorgänge, Begebenheiten, Geschehnisse. Dergleichen Charaktere zeigen durchgängig das, was wir Bewegung im weiteren Sinne nennen. Mit Rücksicht auf diese Mannigfaltigkeit von Bewegungen ergibt sich: Bewegung und Bewegung ist nicht dasselbe. Was etwa von <strong>der</strong> sogenannten mechanischen Bewegung gilt, dem bloßen Geschiebe von Massenteilchen, ferner vom bloßen Ablaufen und Abrollen eines Vorganges, das gilt nicht ohne weiteres von <strong>der</strong> Bewegung etwa im Sinne des Wachstums und <strong>der</strong> Verkümmerung. Entsprechend verschieden ist das Ursachesein, Folgenlassen, Anfangen und Enden. Wie<strong>der</strong> verschieden von Vorgang und Wachstum ist, was wir das Benehmen von Tieren, das Sichverhalten von Menschen nennen. Diese wie<strong>der</strong> können gesehen werden innerhalb von Begebenheiten - den Bewegungen - des Handelns und des Verkehrs. Eine Reise zum Beispiel ist keine bloße, ja überhaupt keine mechanische Fortbewegung mit einer Maschine (Eisenbahn, Schiff, Flugzeug), sie ist auch keine mechanische Bewegung plus ein Verhalten von Menschen, son<strong>der</strong>n sie ist ein eigenes Geschehen, über dessen <strong>Wesen</strong>s charakter wir ebensowenig wissen wie über das <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en genannten Arten von Bewegung. Wir wissen von all dem wenig o<strong>der</strong> nichts, aber keineswegs deshalb, weil <strong>der</strong>gleichen uns unzugänglich wäre, son<strong>der</strong>n weil wir zu oberflächlich, d. h. nicht wurzelhaft existieren, um darnach zu fragen und diese Fragen als brennende zu spüren. So ist es denn in <strong>der</strong> Philosophie bezüglich <strong>der</strong> Aufhellung des <strong>Wesen</strong>s § 4. Gründungscharakter 31 <strong>der</strong> Bewegung überaus kümmerlich bestellt. Seit Aristoteles, <strong>der</strong> als erster und bisher letzter das philosophische Problem begriff, ist die Philosophie um keinen Schritt in diesem Problem vorwärts gekommen. Im Gegenteil, sie ist rückwärts gegangen, sofern sie das Problem überhaupt nicht einmal als Problem begriff. Auch Kant versagt hier völlig. Das ist um so merkwürdiger, als für ihn das Problem <strong>der</strong> Kausalität zentral war. Es ist leicht zu sehen, daß das Problem des <strong>Wesen</strong>s <strong>der</strong> Bewegung Voraussetzung dafür ist, um überhaupt das Problem <strong>der</strong> Kausalität, des Ursacheseins, zu stellen, geschweige denn zu lösen. Und das Problem <strong>der</strong> Bewegung seinerseits? Bewegung, d. i. Bewegtsein bzw. Ruhen (als ein eigener Modus von Bewegung), erweist sich als eine Grundbestimmung dessen, dem wir überhaupt ein Sein zusprechen, des Seienden. Die Art <strong>der</strong> möglichen Bewegtheit bzw. Unbewegtheit wandelt sich mit <strong>der</strong> Art des jeweiligen Seienden. Das Problem <strong>der</strong> Bewegung ist gegründet auf die Frage nach dem <strong>Wesen</strong> des Seienden als solchen. So weitet sich <strong>der</strong> Durchblick durch das Problem <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>. Die einzelnen Durchgangsstellen <strong>der</strong> Erweiterung des Durchblicks seien jetzt noch einmal aufgezählt: praktische <strong>Freiheit</strong> (Autonomie) - transzendentale <strong>Freiheit</strong> (absolute Spontaneität) - ausgezeichnete Kausalität - Kausalität (Ursachesein) als solche - Bewegtheit als solche - Seiendes als solches. Und wo stehen wir jetzt? Mit dieser Frage nach dem Seienden als solchem, nach dem, was das Seiende als Seiendes in seiner ganzen Weite und Tiefe denn eigentlich sei, fragen wir diej enige F rage, die von altersher als die entscheidende, erste und letzte Frage des eigentlichen Philosophierens gilt - die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie: 'tL 'to ov, was ist das Seiende?