Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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50 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />
stehen wir dieses Seiende - Tisch -, wenn wir es verstehen? Wenn<br />
also die sprachliche Fassung bei<strong>der</strong> Fragen dieselbe ist, dann<br />
folgt daraus nicht, daß die Art des Fragens und Verstehens denselben<br />
Charakter hat. Es ergibt sich daraus nur soviel, daß die<br />
Frage nach dem Sein sich in dieselbe Gestalt kleidet und kleiden<br />
kann o<strong>der</strong> gar muß wie die Frage nach dem Seienden. Hieraus<br />
wie<strong>der</strong> folgt nur, daß die Frage in einer fremden Gestalt sich<br />
verstecken und unkenntlich sein kann für den, <strong>der</strong> gewohnt ist,<br />
ausschließlich nach Seiendem zu fragen. Es folgt nur, daß wir<br />
mit <strong>der</strong> Frage auf dem eigenen, von <strong>der</strong> Herrschaft des gemeinen<br />
Verstandes abliegenden Pfad <strong>der</strong> Philosophie gehen, besser:<br />
zu gehen versuchen. So bleibt es bei <strong>der</strong> Notwendigkeit -<strong>der</strong><br />
Frage: Was bedeutet das Grundwort <strong>der</strong> antiken Philosophie,<br />
oliala, wenn es nicht bloßer Schall und Rauch ist, son<strong>der</strong>n mit<br />
<strong>der</strong> Gewalt seiner Bedeutung den Genius eines Platon zu bändigen<br />
vermochte?<br />
oliala 'tOU OVLO~ heißt in <strong>der</strong> entsprechenden deutschen übersetzung:<br />
Seiendheit des Seienden; wir sagen: Sein des Seienden.<br />
>Seiendheit< ist eine sehr harte und ungewohnte, weil künstliche<br />
sprachliche Prägung, die erst in <strong>der</strong> philosophischen Besinnung<br />
erwächst. Doch was von <strong>der</strong> deutschen sprachlichen Prägung<br />
>Seiendheit< gilt, das dürfen wir nicht von <strong>der</strong> entsprechenden<br />
griechischen sagen. Denn oliala ist kein künstlicher, erst in <strong>der</strong><br />
Philosophie geprägter Fachausdruck, son<strong>der</strong>n gehört zur alltäglichen<br />
Rede und Sprache <strong>der</strong> Griechen. Die Philosophie hat das<br />
Wort lediglich aus <strong>der</strong> vorphilosophischen Sprache aufgenommen.<br />
Wenn das so gleichsam von selbst und ohne Befremden geschehen<br />
konnte, dann müssen wir daraus entnehmen, daß schon<br />
die vorphilosophische Sprache <strong>der</strong> Griechen philosophisch war.<br />
Und das ist in <strong>der</strong> Tat <strong>der</strong> Fall. Die Geschichte des Grundwortes<br />
<strong>der</strong> antiken Philosophie ist nur ein ausgezeichneter Beleg dafür,<br />
daß die griechische Sprache philosophisch ist, d. h. nicht: mit<br />
philosophischer Terminologie durchsetzt, son<strong>der</strong>n als Sprache<br />
und Sprachgestaltung philosophierend. Das gilt von j e<strong>der</strong> echten<br />
Sprache, freilich in je verschiedenem Grade. Der Grad bemißt<br />
§ 7. Das vorbegriffliche Seinsverständnis 51<br />
sich nach <strong>der</strong> Tiefe und Gewalt <strong>der</strong> Existenz des Volkes und<br />
Stammes, <strong>der</strong> die Sprache spricht und in ihr existiert. Den entsprechenden<br />
tiefen und schöpferischen philosophischen Charakter<br />
wie die griechische hat nur noch unsere deutsche Sprache. 3<br />
c) Der alltägliche Sprachgebrauch und die Grundbedeutung<br />
von oliala: Anwesen<br />
Wenn wir also die Grundbedeutung des Grundwortes oliala heraushören<br />
wollen, müssen wir in den alltäglichen Sprachgebrauch<br />
hineinhören. Wir sehen bald: Im alltäglichen Sprachgebrauch<br />
besteht keine scharfe Scheidung zwischen >Seiendem< und >Sein