Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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150 Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches Problem<br />
Kausalität meint Zeitfolge. Was heißt das: Zeitfolge? Dem<br />
Wortlaut nach heißt das, daß die Zeit folgt, eine Zeit folgt auf<br />
die an<strong>der</strong>e. Demnach sagt Kant zum Beispiel: »verschiedene<br />
Zeiten sind nicht zugleich, son<strong>der</strong>n nacheinan<strong>der</strong>«.7 Die Zeit<br />
>fließt beständigBeständigkeit< ist das Fließen. An<strong>der</strong>erseits<br />
betont Kant ausdrücklich: »Wollte man <strong>der</strong> Zeit selbst<br />
eine Folge nacheinan<strong>der</strong> beilegen, so müßte man noch eine an<strong>der</strong>e<br />
Zeit denken, in welcher diese Folge möglich wäre. «8 Das<br />
würde ins Endlose führen, ist also unmöglich - vorausgesetzt,<br />
daß diese »an<strong>der</strong>e Zeit«, wie Kant ohne Grund voraussetzt,<br />
denselben Charakter hat. Wenn also in <strong>der</strong> Zeit als solcher<br />
selbst keine Folge liegt, dann auch kein Verlauf. »Die Zeit verläuft<br />
sich nicht, son<strong>der</strong>n in ihr verläuft sich das Dasein des<br />
Wandelbaren.« Die »Zeit ... selbst ... [ist] unwandelbar und<br />
bleibend «9, »... die Zeit selbst verän<strong>der</strong>t sich nicht, son<strong>der</strong>n<br />
etwas, das in <strong>der</strong> Zeit ist. «10 Zeitfolge besagt also nicht eine zur<br />
Zeit selbst gehörige Abfolge von Zeiten, son<strong>der</strong>n das Folgen<br />
und das Nacheinan<strong>der</strong> dessen, was in <strong>der</strong> Zeit ist.<br />
Aber Kant sagt doch wie<strong>der</strong>: »Simultaneität und Sukzession<br />
sind die einzigen Verhältnisse in <strong>der</strong> Zeit«.11 Sind Simultaneität<br />
und Sukzession Verhältnisse nicht etwa dessen, was in <strong>der</strong> Zeit<br />
ist , son<strong>der</strong>n Verhältnisse in <strong>der</strong> Zeit selbst, zur Zeit selbst gehörige<br />
Verhältnisse? Ist demnach Zeitfolge etwas, was zur Zeit<br />
selbst gehört? Liegt demnach in <strong>der</strong> Zeit selbst, zu ihr gehörig,<br />
eine Abfolge von Zeithaftem (Jetzt)? So steht hart gegeneinan<strong>der</strong>:<br />
Die Zeit selbst ist beständig, die Zeit verläuft sich nicht,<br />
son<strong>der</strong>n bleibt - und Abfolge.<br />
Kant gibt <strong>der</strong> Zeitfolge eine Charakteristik: sie ist ein Modus<br />
<strong>der</strong> Zeit, und zwar einer unter an<strong>der</strong>en. »Die drei Modi<br />
<strong>der</strong> Zeit sind Beharrlichkeit, Folge und Zugleichsein. «12 Was ist<br />
7 a.a.O., A 31, B 47.<br />
8 a.a.O., A 183, B 226.<br />
9 a.a.O., A 144, B 183.<br />
10 a.a.O., A 41, B 58.<br />
11 a.a.O., A 182, B 226.<br />
12 a.a.O., A 177, B 219.<br />
§ 17. Allgemeine Charakteristik <strong>der</strong> Analogien 151<br />
ein Zeitmodus und wie verhalten sich diese Modi zueinan<strong>der</strong>?<br />
Sind sie gleichgeordnet o<strong>der</strong> ist einer dem an<strong>der</strong>en vorgeordnet?<br />
Um was für eine Modalisierung <strong>der</strong> Zeit handelt es sich?<br />
Wie ist diese von <strong>der</strong> Zeit her, aus ihrem <strong>Wesen</strong> möglich? Warum<br />
gerade diese drei Modi? Offenbar sind diese drei Zeitmodi<br />
verschieden von jener Dreiheit, die man zunächst bezüglich <strong>der</strong><br />
Zeit kennt und anführt: Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.<br />
Was sind das für Charaktere <strong>der</strong> Zeit und wie verhalten<br />
sie sich zu dem, was Kant Zeitmodi nennt, zu welchen die Zeitfolge<br />
gehört, in bezug auf die die Kausalität begriffen wird?<br />
So sind wir schon beim ersten Anlauf zur Charakteristik <strong>der</strong><br />
kantischen Fassung <strong>der</strong> Kausalität mitten in zentralen Fragen<br />
und Schwierigkeiten. Es gilt zunächst schärfer zu sehen, wie<br />
Kant sich zurechtfindet und was wir demnach unter »Zeitfolge«<br />
und »Grundsatz <strong>der</strong> Zeitfolge« zu verstehen haben.<br />
Hierzu ist notwendig, daß wir das ganze Problem <strong>der</strong> Analogien<br />
<strong>der</strong> Erfahrung in seinem eigentlichen Kern zu fassen versuchen,<br />
um den Zusammenhang zu begreifen, in dem <strong>der</strong><br />
Grundsatz <strong>der</strong> Kausalität steht, zugleich aber um die ursprünglichere<br />
Dimension <strong>der</strong> Problematik ans Licht zu bringen,<br />
in <strong>der</strong> die Beziehung von Kausalität und <strong>Freiheit</strong> sichtbar<br />
wird.<br />
§ 17. Allgemeine Charakteristik <strong>der</strong> Analogien <strong>der</strong><br />
Erfahrung<br />
Wenn wir uns auf die Betrachtung <strong>der</strong> Analogien <strong>der</strong> Erfahrung<br />
einlassen, dann geschieht das mit all den Vorbehalten, die<br />
sich bei einem solchen Vorhaben notwendig einstellen. Es ist<br />
klar, daß bei einem Problem, das, mitten aus <strong>der</strong> »Kritik <strong>der</strong><br />
reinen Vernunft« heraus, zugleich auf die zentralste Problematik<br />
<strong>der</strong> Philosophie orientiert ist, die Vorbereitung umfassen<strong>der</strong><br />
sein müßte, als wir sie hier treffen können. Keinesfalls ist<br />
nur allgemeine übersicht gefor<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n wir wollen kon-