Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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94 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />
es sich zur Entborgenheit. Die Art des Seins des Seienden entscheidet<br />
über die ihm zugehörige Art seiner möglichen Entborgenheit.<br />
Diese geht mit dem Sein zusammen. Zum eigentlichen<br />
Seienden gehört dann, als solchem, das eigentliche Wahrsein.<br />
Unsere Behauptung ist, Aristoteles stellt in 810 das Problem:<br />
Wie muß das Sein des Seienden sein, damit das Seiende ein wahres,<br />
d. h. entborgenes sein kann? Was ist das Wahrsein eigentlich<br />
am Seienden? Es dürfte klar geworden sein, daß dieses Problem<br />
für die Antike und Aristoteles erst recht, nachdem einmal die<br />
Leitfrage 'tL 't0 OV erwacht war, unausweichlich wird. Es liegt<br />
auf <strong>der</strong> Hand. Zugleich aber entnehmen wir aus dem Gesagten,<br />
wie nun Aristoteles, sobald er das Problem aufnimmt, seine Behandlung<br />
ansetzen und in welcher Richtung er es entfalten muß.<br />
Denn wenn seine These lautet: Das UA'IlitE~ OV ist das xUQtoml'tov<br />
OV, das eigentlichste Seiende, dann muß er ausgehen auf die<br />
Frage nach <strong>der</strong> Wahrheit des eigentlichen Seienden. Es ist nicht<br />
Problem eine beliebige Art von Wahrheit eines beliebigen Seienden,<br />
son<strong>der</strong>n die Wahrheit des eigentlichen Seienden, d. h,<br />
nach obigem sofort: die eigentliche Wahrheit. Hier an <strong>der</strong><br />
eigentlichen Wahrheit des eigentlichen Seienden muß <strong>der</strong><br />
eigentliche Zusammenhang zwischen Sein und Wahrheit sichtbar<br />
werden, d. h. es muß heraustreten, inwiefern Wahrheit<br />
überhaupt das eigentliche Sein des Seienden ausmacht.<br />
Damit haben wir schon den Gang <strong>der</strong> Erörterungen von 8 10<br />
vorgezeichnet. Die thematische Behandlung des Problems beginnt<br />
1051 b 9 und erstreckt sich bis b 33 bzw. bis 1052 a 4. Was<br />
davor steht, leitet das Problem ein. Wir haben das Wichtigste<br />
bisher gesagt: These, Fragestellung, Hinweis auf Sachwahrheit<br />
(ltQUYIlU'tU), diese Grund <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Aussagewahrheit.<br />
Was nach a 4 erörtert wird, sind Folgerungen. Der Aufbau <strong>der</strong><br />
thematischen Erörterung, die Komposition, die Knappheit,<br />
Schärfe und Klarheit gehört zum Erstaunlichsten, was ich von<br />
Aristoteles in dieser Tiefe <strong>der</strong> Probleme kenne.<br />
Die Entborgenheit des Seienden regelt sich nach <strong>der</strong> Art des<br />
Seins des Seienden, 't0 ÖE UA'IlltE~ w~ 'to cLvm. Bei <strong>der</strong> allgemei-<br />
§ 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 95<br />
nen Einteilung des Seienden lernten wir eine Art des Seienden<br />
b k<br />
" -,,, 25<br />
kennen, von <strong>der</strong> Aristoteles emer t: EYYU~ TL 'tou Il'll OVLO~ ,es<br />
kommt in die Nähe des Nichtseienden. Es ist zwar noch Seiendes,<br />
aber nicht eigentlich, und dieses, das OV XU'tu aUIlßEß'Ilx6~, ist<br />
solches, was <strong>der</strong>art anwesend ist, daß es sich irgendwann und einmal<br />
gelegentlich mit eingestellt hat. Zum Beispiel das Weißsein<br />
<strong>der</strong> Kreide mit Bezug auf diese. Wenn Kreide ist, braucht sie<br />
nicht weiß zu sein. Dagegen daß die Kreide, wenn sie ist, ein<br />
stoffliches Ding ist, dieses, die Stofflichkeit, hat sich bei <strong>der</strong><br />
Kreide, wenn sie ist, nicht irgendwann und einmal dazu eingestellt,<br />
atlll-ßEß'Ilx6~, son<strong>der</strong>n ist ein auyxdllEvoV, es liegt in <strong>der</strong><br />
Kreide beisammen, auv-xdllEVOV mit dem vltoxdllEVOV. Es ist hier<br />
Kreide und Stofflichkeit uMvu'tov ötmQEltilvm, unmöglich, sie<br />
auseinan<strong>der</strong>genommen vor sich zu haben, z. B. wenn man das<br />
Seiende Kreide erfaßt und sie in dem, was sie ist, enthüllt sein<br />
soll. An<strong>der</strong>erseits, wenn Kreide ist, dann kann sich allerlei einstellen<br />
bei ihr, aber nie kann mit ihr beisammen sein z. B. Lügenhaftigkeit.<br />
Es ist unmöglich, je beides etwa bei dem enthüllenden<br />
Bestimmen <strong>der</strong> Kreide zusammenzunehmen und zu sagen:<br />
»Die Kreide lügt«. Aristoteles sagt: uMvu'tov auvTEltilvm.<br />
Freilich gibt es etwa, wie schon erwähnt, solches, was sich bald<br />
mit <strong>der</strong> Kreide einstellen kann, bald nicht. Was besagt nun Sein<br />
mit Bezug auf die stofflich seiende Kreide als solche, das Stofflichsein<br />
<strong>der</strong> Kreide? Es besagt Beisammenliegen und so in <strong>der</strong><br />
Zusammengehörigkeit eines sein, nicht einerlei, son<strong>der</strong>n im<br />
Mehrerlei Eines ausmachend. Entsprechend ist beim Lügenhaft-Sein<br />
<strong>der</strong> Kreide ein Un-zusammenliegen, ein schlechthin<br />
Auseinan<strong>der</strong>fallendes behauptet, ein uneiniges Mehrerlei.<br />
Mit <strong>der</strong> Aufhellung und Bestimmung dieser verschiedenen<br />
Arten des Seins beginnt Aristoteles die thematische Erörterung:<br />
Ei öT] 'tU Ilfv ud avyxEL'tm xat uövvu'tu öwtQEftilvm, 'tU ö' ud örflQ'Il'tm<br />
xut uMvu'tu aUVLEltilvm, 'tU ö' fvbEXE'tm 'tUVUVTLU TO IlEV YUQ cLVUL<br />
ean 'to auyxELaltm xat EV dvm, 't0 ÖE 1lT] dvm 't0 1lT] aUYXELaltm unu<br />
e;; a,a.o" E 2, 1026 b 21.