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Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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22 Erstes Durchbrechen des <strong>Freiheit</strong>sproblems<br />

Wir sagten: Kant faßt <strong>Freiheit</strong> als Vermögen, sich selbst zu<br />

bestimmen, als »absolute Selbsttätigkeit«. In beiden ist nichts<br />

Negatives. Gewiß, aber sie meinen doch nicht dasselbe. Kant unterscheidet<br />

daher auch <strong>Freiheit</strong> »im kosmologischen Verstande«<br />

und <strong>Freiheit</strong> »im praktischen Verstande «3. Diese Unterscheidung<br />

Kants deckt sich aber keineswegs mit dem Unterschied von<br />

negativer und positiver <strong>Freiheit</strong>, son<strong>der</strong>n die Unterscheidung<br />

fällt selbst wie<strong>der</strong> auf die Seite <strong>der</strong> positiven, besser, <strong>der</strong> nicht<br />

negativen <strong>Freiheit</strong>.<br />

Zunächst: Was versteht Kant unter kosmologischer und praktischer<br />

<strong>Freiheit</strong>? » ... verstehe ich unter <strong>Freiheit</strong>, im kosmologischen<br />

Verstande, das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen,<br />

<strong>der</strong>en Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wie<strong>der</strong>um<br />

unter einer an<strong>der</strong>en Ursache steht, welche sie <strong>der</strong> Zeit<br />

nach bestimmte. Die <strong>Freiheit</strong> ist in dieser Bedeutung eine reine<br />

transzendentale Idee«.4 <strong>Freiheit</strong> besagt also Vermögen des<br />

Selbstanfangs eines Zustandes. Damit ist erläutert, was wir als<br />

<strong>Freiheit</strong>sbegriffKantsobenanführten:»absoluteSelbsttätigkeit«<br />

_ von selbst anfangen, spontan, sua sponte, spons, spondeo,<br />

spond, ~rrEN~, OJtfVÖW: spenden, frei von sich aus geben, spontan,<br />

Spontaneität, absolute Selbsttätigkeit. <strong>Freiheit</strong> als absolute<br />

Spontaneität ist <strong>Freiheit</strong> im kosmologischen Verstande: transzendentale<br />

Idee. Was die letzteren Bestimmungen meinen, werden<br />

wir nachher erörtern. Zuvor fragen wir: Was heißt <strong>Freiheit</strong><br />

»im praktischen Verstande«? »Die <strong>Freiheit</strong> im praktischen Verstande<br />

ist die Unabhängigkeit <strong>der</strong> Willkür von <strong>der</strong> Nötigung<br />

durch Antriebe <strong>der</strong> Sinnlichkeit«.5 <strong>Freiheit</strong> im praktischen Verstande<br />

ist Unabhängigkeit, also doch gerade das, was wir als<br />

Kennzeichen des negativen Begriffes <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> anführten.<br />

Sagten wir aber nicht: beide <strong>Freiheit</strong>sbegriffe Kants - <strong>der</strong> transzendentale<br />

und <strong>der</strong> praktische - seien nicht negativ? Allerdings.<br />

Aber die vorgelegte Definition <strong>der</strong> praktischen <strong>Freiheit</strong> nimmt<br />

3 a.a.O., A 533 f., B 561 f.<br />

4 a.a.O., A 533, B 561.<br />

5 a.a.O., A 534, B 562.<br />

§ 3. Formal-anzeigende Erörterung 23<br />

diese unstreitig negativ. Und wenn wir näher zusehen, erläutert<br />

Kant auch die <strong>Freiheit</strong> im praktischen Verstande eben durch die<br />

Momente, die wir zuerst anführten bei <strong>der</strong> Nennung des Kantischen<br />

<strong>Freiheit</strong>sbegriffs: »Die menschliche Willkür ist .. , [frei],<br />

weil Sinnlichkeit ihre Handlungen nicht notwendig macht, son<strong>der</strong>n<br />

dem Menschen ein Vermögen beiwohnt, sich, unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Nötigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen«6.<br />

Willkür bedeutet hier nicht: Zucht- und Gesetzlosigkeit,<br />

son<strong>der</strong>n Willensvermögen. Hier ist die negative <strong>Freiheit</strong><br />

erwähnt, zugleich aber etwas an<strong>der</strong>es: das Vermögen, sich selbst<br />

zu bestimmen. Aber ist das nicht ohne weiteres einerlei mit <strong>der</strong><br />

Spontaneität, also identisch mit dem kosmologischen Begriff <strong>der</strong><br />

<strong>Freiheit</strong>? Dann würde dieser den positiven und <strong>der</strong> praktische<br />

Begriff dagegen, Unabhängigkeit von <strong>der</strong> Sinnlichkeit, den negativen<br />

darstellen.<br />

Keineswegs. Zwar läßt sich nicht bestreiten, daß Kant in <strong>der</strong><br />

Definition <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> im praktischen Verstande die Unabhängigkeit<br />

von <strong>der</strong> sinnlichen Nötigung anführt. Das hat seinen<br />

Grund. Die ganze Erörterung findet sich in <strong>der</strong> »Kritik <strong>der</strong> reinen<br />

Vernunft«, d. h. in dem Werk, wo <strong>der</strong> reine Verstand, das<br />

theoretische Vermögen des Menschen, Thema ist; nicht <strong>der</strong> praktische<br />

Verstand, die Jteu~LI; im Sinne des sittlichen Handeins. Wir<br />

müssen daher, bevor wir Kant gewaltsam auf die angeführte<br />

Definition <strong>der</strong> praktischen <strong>Freiheit</strong> als Unabhängigkeit von <strong>der</strong><br />

Sinnlichkeit festlegen, fragen: Wie bestimmt Kant die <strong>Freiheit</strong><br />

im praktischen Verstande dort, wo er thematisch von <strong>der</strong> JtQUSLI;,<br />

von <strong>der</strong> Sittlichkeit handelt, also in <strong>der</strong> »Kritik <strong>der</strong> praktischen<br />

Vernunft«? Noch schärfer gefragt: Wie faßt Kant die praktische,<br />

sittliche <strong>Freiheit</strong> dort, wo die Sittlichkeit für ihn metaphysisches<br />

Problem wird, also in <strong>der</strong> »Grundlegung zur Metaphysik <strong>der</strong><br />

Sitten«? In seiner so betitelten Schrift zu Beginn des dritten Abschnittes<br />

schreibt Kant: »Der Wille ist eine Art von Kausalität<br />

leben<strong>der</strong> <strong>Wesen</strong>, sofern sie vernünftig sind, und <strong>Freiheit</strong> würde<br />

6 Ebd.

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