Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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2 Vorbetrachtung<br />
heit des bekannten und unbekannten Seienden vorstellen und<br />
dabei eigens an den Menschen denken, dann zeigt sich uns: Der<br />
Mensch ist in <strong>der</strong> Allheit des Seienden nur eine kleine Ecke. Dieses<br />
winzige <strong>Wesen</strong> zeigt im Hinblick auf die Naturgewalten und<br />
die kosmischen Vorgänge eine hoffnungslose Gebrechlichkeit, im<br />
Hinblick auf die Geschichte und ihre Geschicke und Schicksale<br />
eine unüberwindbare Ohnmacht, in Ansehung <strong>der</strong> unabsehbaren<br />
Dauer <strong>der</strong> kosmischen Vorgänge und auch des Alters <strong>der</strong> Geschichte<br />
eine unaufhaltsame Flüchtigkeit. Und von diesem winzigen,<br />
gebrechlichen, ohnmächtigen und flüchtigen Seienden,<br />
dem Menschen, handeln wir.<br />
An ihm selbst betrachten wir wie<strong>der</strong>um nur eine Eigenschaft:<br />
seine <strong>Freiheit</strong>; nicht die übrigen Vermögen, Leistungen und<br />
Charaktere. Mit dem Thema» <strong>Vom</strong> <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong><br />
<strong>Freiheit</strong>« binden wir die Betrachtung auf eine beson<strong>der</strong>e Frage<br />
(<strong>Freiheit</strong>) fest, die ihrerseits zudem auf ein beson<strong>der</strong>es Seiendes<br />
(Mensch) aus <strong>der</strong> Allheit des Seienden bezogen ist.<br />
Die Behandlung dieses Themas soll aber doch eine <strong>Einleitung</strong><br />
in die Philosophie werden. Von einer solchen <strong>Einleitung</strong> erwarten<br />
wir, daß sie uns einen Einblick in die Philosophie, d. h. in<br />
das Ganze ihrer Fragen verschafft. Mit diesem Einblick in das<br />
Ganze wollen wir einen überblick über das gesamte Feld <strong>der</strong><br />
Philosophie gewinnen. Eine <strong>Einleitung</strong> in die Philosophie, das<br />
muß eine Orientierung über das Allgemeinste <strong>der</strong> Philosophie<br />
werden. Sie hat gerade die Gefahr zu vermeiden, sich allzusehr<br />
in Son<strong>der</strong>fragen zu verlieren und so den Blick auf das allgemeine<br />
Ganze zu verstellen. Zwar mag es innerhalb <strong>der</strong> Philosophie<br />
selbst Son<strong>der</strong>fragen geben, eine <strong>Einleitung</strong> in die Philosophie<br />
muß aber doch allemal von Anfang an das allgemeine Ganze<br />
als solches näherzubringen versuchen.<br />
Eine <strong>Einleitung</strong> in die Philosophie unternehmen auf dem<br />
Wege einer Behandlung <strong>der</strong> Frage nach dem <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong><br />
<strong>Freiheit</strong>, also ein Verständnis des Allgemeinen <strong>der</strong> Philodie<br />
Allheit des Seienden (die einige Allheit von Natur und Geschichte:<br />
Welt) und den Allheitsgrund (Gott) gemeint.<br />
§ 1. Der scheinbare Wi<strong>der</strong>spruch 3<br />
sophie suchen und dabei von Anfang an in eine Son<strong>der</strong>frage<br />
abgleiten: das ist offensichtlich ein unmögliches Vorhaben. Denn<br />
die Absicht und <strong>der</strong> Weg zu ihrer Verwirklichung laufen einan<strong>der</strong><br />
zuwi<strong>der</strong>.<br />
a) Das >Beson<strong>der</strong>e< des Themas und das >Allgemeine< einer<br />
<strong>Einleitung</strong> in die Philosophie<br />
Gewiß, das Beson<strong>der</strong>e ist etwas an<strong>der</strong>es als das Allgemeine. Die<br />
Lehre von den Differentialgleichungen ist nicht die Mathematik;<br />
die Morphologie und Physiologie <strong>der</strong> Pilze und Moose ist nicht<br />
die Botanik; die Interpretation von Sophokles' »Antigone« ist<br />
nicht die klassische Philologie; die Geschichte Friedrichs H. ist<br />
nicht die Geschichte des Mittelalters. Entsprechend ist die Abhandlung<br />
des Problems <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> nicht die Philosophie.<br />
Und doch! Wie fangen wir es an, in <strong>der</strong> Mathematik zum Beispiel?<br />
Wir beginnen nicht mit <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Differentialgleichungen,<br />
wohl aber mit <strong>der</strong> Differentialrechnung; von diesem<br />
Beson<strong>der</strong>en wird gehandelt und nicht und nie von <strong>der</strong> Mathematik<br />
im allgemeinen und dem Mathematischen überhaupt. Mit<br />
<strong>der</strong> Lektüre und Interpretation bestimmter einzelner literarischer<br />
Werke beginnen wir und nicht mit <strong>der</strong> Philologie im allgemeinen<br />
und mit <strong>der</strong> Frage nach dem literarischen Kunstwerk<br />
überhaupt; und so in allen Wissenschaften. Wir beginnen mit<br />
dem Beson<strong>der</strong>en und Konkreten, aber nicht um dabei stehenzubleiben<br />
und darin uns zu verlieren, son<strong>der</strong>n um alsbald auf das<br />
<strong>Wesen</strong>tliche und Allgemeine zu stoßen. Wohl ist das Beson<strong>der</strong>e<br />
immer ein an<strong>der</strong>es als das Allgemeine, aber dieses An<strong>der</strong>ssein<br />
bedeutet keinen Wi<strong>der</strong>streit und gegenseitiges Sichausschließen.<br />
Ganz im Gegenteil: Das Beson<strong>der</strong>e ist immer das Beson<strong>der</strong>e<br />
eines, gena uer: seines in ihm beschlossenen Allgemeinen, und das<br />
Allgemeine ist immer das Allgemeine des von ihm her bestimmten<br />
Beson<strong>der</strong>en. Darnach ist das Beson<strong>der</strong>e jeweils die echte und<br />
rechte Gelegenheit, daran wir das Allgemeine finden. Durch die