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Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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70 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />

sich daran, wie eine solche >geistige< Form in einem Stoff ihren<br />

Wohnsitz nehmen soll. Man stellt dann noch dem Aristoteles<br />

ein beson<strong>der</strong>es Zeugnis dafür aus, daß er es gegenüber Platon<br />

fertiggebracht habe, Idee, Form und Gestalt, die jener an einen<br />

übersinnlichen Ort verpflanzt, in den Stoff und in die Dinge<br />

selbst herabzuholen. Man merkt nicht bei dieser landläufigen<br />

Interpretation <strong>der</strong> aristotelischen Philosophie, die Sie in jedem<br />

anständigen Lehrbuch finden können, daß man erstens Platon<br />

und Aristoteles allzu Kindisches hemmungslos zutraut und daß<br />

man zweitens mit all dem nur seit Jahrhun<strong>der</strong>ten das nachredet,<br />

was bald nach dem Zurücksinken <strong>der</strong> Philosophie aus<br />

<strong>der</strong> Höhe bei Platon und Aristoteles in den Schulen und bei<br />

den Kompilatoren sich erhob. Diese Art von Geschichte <strong>der</strong> Philosophie<br />

ist genau so, wie wenn wir unsere Interpretation Kants<br />

z. B. daraus schöpfen wollten, was ein Journalist im Jahre 1924<br />

zum Kantjubiläum schrieb.<br />

Wie steht es nun aber mit dieser Verwirklichung <strong>der</strong> Form in<br />

<strong>der</strong> Materie, wodurch die Wirklichkeit des Dinges erzielt werden<br />

soll? Zunächst ist das keine Aufhellung des <strong>Wesen</strong>s <strong>der</strong> Wirklichkeit,<br />

solange man nicht Zuvor sagt, was Verwirklichung bedeuten<br />

soll. Ferner ist es keine Interpretation des antiken Wirklichkeitsbegriffes,<br />

solange man nicht gezeigt hat, daß die Griechen<br />

die Wirklichkeit aus dem Akt <strong>der</strong> Verwirklichung verstehen;<br />

was eben nicht zutrifft. Vor allem aber: Diese unentwegten<br />

Erörterungen über Form und Materie laufen ab und pflanzen<br />

sich fort, ohne je die BlicksteIlung sich anzueignen und auch<br />

nur nach ihr zu fragen, innerhalb <strong>der</strong>en eil'lOI,; und \JA'!'] gemeint<br />

und zur Aufhellung <strong>der</strong> Wirklichkeit des Wirklichen in Rechnung<br />

gestellt sind. Nicht um eine Verpflanzung und Einbettung<br />

<strong>der</strong> Form in den Stoff handelt es sich, überhaupt nicht um die<br />

Frage nach dem Prozeß <strong>der</strong> Herstellung des Seienden, son<strong>der</strong>n<br />

um die Frage nach dem, was in <strong>der</strong> Hergestelltheit eines Hergestellten<br />

als solchen liegt. Die oben angeführte Frage lautete: Wie<br />

muß die Werkhaftigkeit des vorhandenen Werkes als solchen<br />

begriffen werden, wenn sich in <strong>der</strong> Werkhaftigkeit das Sein des<br />

§ 8. Aufweis <strong>der</strong> verborgenen Grundbedeutung 71<br />

betreffenden Seienden bekundet? Die Antwort lautete, daß in<br />

<strong>der</strong> Hergestelltheit als solcher das Auftauchen und zum Vorschein-Kommen<br />

des Aussehens des betreffenden Dinges liegt.<br />

Die ovalu, das Vorhandensein des Seienden als eines wirklich<br />

Vorhandenen liegt in <strong>der</strong> J'tu!]oualu des Eiool,;: in <strong>der</strong> Anwesenheit<br />

seines Aussehens. Wirklichkeit besagt Hergestelltheit, Dastehendheit<br />

im Sinne <strong>der</strong> Anwesenheit des Aussehens. 8<br />

Wenn später Kant sagt, wir kennen nicht das Seiende als Ding<br />

an sich, d. h. in absoluter Anschauung gesehen, son<strong>der</strong>n als Erscheinung,<br />

so meint er nicht, wir erfassen nur eine Scheinwirklichkeit<br />

o<strong>der</strong> eine halbe und Viertelswirklichkeit des Seienden,<br />

son<strong>der</strong>n wenn das Seiende selbst, das Vorhandene, als Erscheinung<br />

gefaßt wird, so heißt das nichts an<strong>der</strong>es: Die Wirklichkeit<br />

des Wirklichen liegt in seinem Erscheinungscharakter. Erscheinen<br />

meint zum Vorschein-Kommen, Anwesenheit des Aussehens,<br />

<strong>der</strong> vollen bestimmenden Bestimmtheit des sich zeigenden Seienden<br />

selbst. Kant bewegt sich ganz in demselben Verständnis des<br />

Seins wie die antike Philosophie. Daß ihm <strong>der</strong> ursprüngliche<br />

Zusammenhang des Erscheinungsbegriffes mit dem radikal gefaßten<br />

Seinsproblem verborgen bleiben mußte, ist nicht seine<br />

Schuld. Wenn wir aber weiterhin über Kant und jeden an<strong>der</strong>en<br />

in <strong>der</strong> üblichen Weise problemlos herreden, werden wir schuldig<br />

und gehören zu jenen Verworfenen, die <strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> Geschichte<br />

in ihrer eigenen Erbärmlichkeit sich zerreiben läßt.<br />

Zusammenfassend können wir sagen: Der aristotelische Begriff<br />

für die Wirklichkeit des Wirklichen und erst recht <strong>der</strong> spätere<br />

von dorther bestimmte Begriff von actualitas (Wirklichkeit),<br />

<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> EVE!]YELU, zeigt zunächst nichts von <strong>der</strong> von uns<br />

behaupteten Grundorientierung des antiken Seinsverständnisses<br />

auf >beständige Anwesenheit

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