Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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146 Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches Problem<br />
sicheren und überlegenen Position, indem man erklärt: Die<br />
Physiker mögen über das Kausalgesetz sagen, was sie wollen,<br />
solange sie physikalisch denken, stehen sie überhaupt nicht in<br />
<strong>der</strong> Dimension, die ihnen allein die Mittel gibt, das Kausalproblem<br />
aufzunehmen. Demgegenüber gilt es zu beachten, daß<br />
diese beiden Positionen innerlich unmöglich und fragwürdig<br />
sind. Die philosophische Berufung auf das Apriori ist ebenso<br />
fragwürdig, wie die physikalische Versteifung auf die Instanz<br />
<strong>der</strong> Erfahrung durch und durch verworren ist. Am Ende sind<br />
beide Ansprüche berechtigt und beide doch nicht radikal und<br />
klar genug, um das entscheidende Problem überhaupt zu sehen.<br />
Wo liegt nun aber ganz allgemein die Veranlassung dafür,<br />
daß für die heutige Physik das Kausalgesetz in irgendeinem<br />
Sinne fraglich wird? »In <strong>der</strong> klassischen Dynamik gilt unumschränkt<br />
<strong>der</strong> Satz, daß die Kenntnis des Zustandes (nämlich <strong>der</strong><br />
Lagen und Geschwindigkeiten aller Materieteilchen) in einem<br />
Augenblick den Ablauf eines abgeschlossenen Systems für alle<br />
Zukunft determiniert; das ist die Fassung, die das Kausalgesetz<br />
in <strong>der</strong> Physik einnimmt. «2 Man sagt, daß offenbar im<br />
makroskopischen Gebiet <strong>der</strong> Naturvorgänge ausnahmslos eine<br />
zuverlässige, d. h. determinierte Kausalität gilt; nicht so im<br />
mikroskopischen Gebiet, d. h. im Gebiet <strong>der</strong> atomaren Strukturen,<br />
wo man heute die elementaren physikalischen Vorgänge<br />
sieht, <strong>der</strong>gestalt daß diese zugleich wie<strong>der</strong> dem astrophysikalischen<br />
Ablauf (Planetenbewegung) entsprechen.<br />
In <strong>der</strong> Atomphysik hat sich gezeigt, daß die physikalisch angesetzten<br />
Größen nicht stetig im Gebiet <strong>der</strong> Natur ausgebreitet<br />
sind. Die Bewegungen erfolgen nicht in durchweg stetiger<br />
Weise, es gibt Unstetigkeiten, Sprünge und Lücken. Es gibt für<br />
den Bewegungsablauf keine eindeutige Determination. Die Gesetzlichkeit<br />
desselben ist keine dynamische, lückenlos kausale,<br />
son<strong>der</strong>n nur eine im Mittelwert ihrer Wahrscheinlichkeit feststellbare,<br />
d. h. statistische.<br />
2 M. Born, Quantenmechanik und Statistik. In: Die Naturwissenschaften<br />
XV, 1927. S. 239.<br />
§ 15. Vorbemerkung zum Problem <strong>der</strong> Kausalität 147<br />
Die Regel <strong>der</strong> Abfolge <strong>der</strong> elementaren Naturvorgänge ist<br />
eine an<strong>der</strong>e; welche, das ist Problem. Bezeichnet man diese<br />
Regel als Satz <strong>der</strong> Kausalität, so ergibt sich aus den Fragestellungen<br />
und Themen <strong>der</strong> Physik heraus die Notwendigkeit,<br />
die Kausalität neu zu bestimmen. Und was heißt das dann?<br />
»Die Kausalität definieren heißt für den Physiker nichts an<strong>der</strong>es<br />
als angeben, wie man ihr Vorhandensein o<strong>der</strong> Nichtvorhandensein<br />
experimentell feststellen kann. Damit ist bereits<br />
klar, daß auch die Definition <strong>der</strong> Kausalität sich fortschreitend<br />
verän<strong>der</strong>n muß mit dem Fortschritt unserer Anschauungen,<br />
Kenntnisse und experimentellen Mittel. «3<br />
Hier wird ganz handgreiflich: Kausalität definieren heißt,<br />
die mögliche Weise <strong>der</strong> Feststellung ihres Vorhandenseins angeben,<br />
ihres Vorhandenseins, das <strong>der</strong> Kausalität. Aber was<br />
diese ist bzw. was darunter zu verstehen ist, muß doch schon<br />
vor <strong>der</strong> Feststellung des Vorhandenseins o<strong>der</strong> Nichtvorhandenseins<br />
geklärt sein. O<strong>der</strong> muß dies auch erst festgestellt werden,<br />
und wenn ja, auf welchem Wege? Das ist die Frage, die die<br />
Physik vergißt zu stellen, die aber die Philosophie allzu schnell<br />
schon entscheidet. Denn mit <strong>der</strong> Versicherung: Ich muß, um da<br />
und dort eine Kausalität feststellen zu können, schon wissen,<br />
was ich darunter verstehe, und dieses Wissen muß ich vor aller<br />
feststellenden Erfahrung haben, - mit dieser Versicherung ist<br />
zwar ein Hinweis gegeben auf solches, was den erfahrungsmäßigen<br />
Feststellungen vorausliegt. Was dies, dieses Voraus,<br />
Apriori, aber heißt und wie es möglich und warum es notwendig<br />
ist, das ist nicht entschieden und ist erst recht nicht einfach<br />
durch eine Berufung auf Kant entscheidbar.<br />
Wir müssen so einerseits zwar den Machtsprüchen <strong>der</strong> Physik<br />
mißtrauen und dürfen doch nicht die neuen Sachgehalte ihrer<br />
heutigen Probleme einfach als sogenanntes empirisches Material<br />
auf die Seite legen, denn dieses könnte eben so sein, daß es<br />
die Anweisung gibt auf neue <strong>Wesen</strong>sbestimmungen <strong>der</strong> Natur<br />
3 P. Jordan, a.a.O., S. 105.