Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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210 Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches Problem<br />
gen und ihrer Reihe, die erfahmngsmäßig zugängliche Einheit<br />
<strong>der</strong> Erscheinungen aber in ihrem Zusammenhang durch Kausalität<br />
und zwar durch Kausalität nach <strong>der</strong> Natur bestimmt ist,<br />
dann rückt die zum Weltproblem gehörige <strong>Freiheit</strong> in den engsten<br />
Zusammenhang mit <strong>der</strong> Naturkausalität, selbst dann,<br />
wenn die <strong>Freiheit</strong> als beson<strong>der</strong>e Art von Kausalität von <strong>der</strong><br />
Naturkausalität unterschieden wird. Denn in diesem Fallc<br />
wird sie eben gegen die Naturkausalität unterschieden und das.<br />
wogegen sie unterschieden wird, bestimmt zugleich von sich<br />
her in <strong>der</strong> Unterscheidung das von ihr Abzugrenzende mit.<br />
<strong>Freiheit</strong> erwächst, um es kurz zu sagen, als ein ausgezeichneter<br />
Modus <strong>der</strong> Naturkausalität. Wäre es nicht so, dann bestünde<br />
keine Möglichkeit, sie als kosmologische Idee, d. h. als eine<br />
auf Natur, d. h. Naturganzheit wesenhaft bezogene Idee zu<br />
fassen.<br />
Ideen sind reine Vernunftbegriffe, d. h. Vorstellungen VOll<br />
etwas im allgemeinen nach dem Grundprinzip <strong>der</strong> Vernunft.<br />
Dieses ist »das Prinzipium <strong>der</strong> unbedingten Einheit«.4 Die<br />
Vernunft macht nun dieses ihr Prinzipium in je<strong>der</strong> <strong>der</strong> drei<br />
angeführten Richtungen des Vorstellens geltend. Im Felde des<br />
Vorstellens <strong>der</strong> Objekte als Erscheinungen heißt das, die Vernunft<br />
for<strong>der</strong>t das Vorstellen <strong>der</strong> absoluten Totalität <strong>der</strong> Synthesis<br />
<strong>der</strong> Erscheinungen, d. h. das Vorstellen <strong>der</strong> unbedingten<br />
Vollständigkeit <strong>der</strong> Einheit des Zusammenhangs des Vorhandenen.<br />
Wenn wir nun die Vernunft in diesem von ihr gefor<strong>der</strong>ten<br />
Vorstellen betrachten, dann »zeigt sich ein neu es Phänomen<br />
<strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> Vernunft«, ein natürlicher» Wi<strong>der</strong>streit <strong>der</strong><br />
Gesetze (Antinomie) <strong>der</strong> reinen Vernunft«5, ein Zwiespalt in<br />
dem, was reine Vernunft als solche notwendig setzen muß.<br />
Mithin: gerade wenn das Prinzipium <strong>der</strong> Vernunft offenbar<br />
wird und sein Prinzips ein zeigt, gerade dann bekunden sich<br />
»Auftritte des Zwiespalts und <strong>der</strong> Zerrüttungen«.6<br />
4 a.a.O., A 407, B 433.<br />
5 a.a.O., A 407, B 434.<br />
6 Ebd.<br />
§ 22. Kausalität durch <strong>Freiheit</strong> 211<br />
Es ist angesichts solcher Äußerungen Kants über die reine<br />
Vernunft einfach Blindheit und Unverstand zugleich, wenn<br />
JIlan von einer reinen absoluten Vernunft phantastisch<br />
schwärmt und übersieht, daß gerade <strong>der</strong> Vernunftbegriff bei<br />
Kant nicht nur immer <strong>der</strong> einer <strong>menschlichen</strong> Vernunft ist, son<strong>der</strong>n<br />
zugleich die tiefste Endlichkeit des Menschen bekundet<br />
und nicht etwa, wie man äußerlich und fälschlich interpretiert,<br />
ein Merkmal <strong>der</strong> Unendlichkeit darstellt. Die Vernunft ist in<br />
ihrem Vorstellen und d. h. in ihren Begriffen nur scheinbar<br />
dem Verstand als dem eigentlichen Vermögen <strong>der</strong> Begriffe<br />
überlegen. Es ist im Grunde umgekehrt; die Vernunft ist in<br />
ihrem Vorstellen nur ein unrechtmäßiger Überschwang des in<br />
sich schon endlichen <strong>Wesen</strong>s des Verstandes, damit erst recht<br />
eine Verendlichung, »Veruneinigung«7, wenn an<strong>der</strong>s ein unrechtmäßiges<br />
Vorstellen ein Zeichen von Grenzüberschreitung<br />
und Maßlosigkeit, also ein Kennzeichen von Endlichkeit ist.<br />
Dieser unrechtmäßige Überschwang wird aber vollends dadurch<br />
nicht zum Zeichen einer Unendlichkeit, daß er gar noch<br />
für die Menschennatur als solche notwendig ist, son<strong>der</strong>n hierdurch<br />
ist erwiesen, daß ihre Endlichkeit keine beliebige und<br />
zufällige, son<strong>der</strong>n eine wesensmäßige ist.<br />
Kant betont ausdrücklich, es sei notwendig zu bemerken,<br />
daß nur <strong>der</strong> Verstand es sei, aus welchem reine, transzendentale<br />
Begriffe entspringen können, »daß die Vernunft eigentlich<br />
gar keinen Begriff erzeuge, son<strong>der</strong>n allenfalls nur den VerstandesbegritJ,<br />
von den unvermeidlichen Einschränkungen einer<br />
möglichen Erfahrung, frei mache, und ihn also über die Grenzen<br />
des Empirischen, doch aber in Verknüpfung mit demselben<br />
zu erweitern suche«.8 Von Einschränkungen frei zu machen<br />
suchen, ist aber noch lange nicht Oberwindung <strong>der</strong> Endlichkeit,<br />
son<strong>der</strong>n kann gerade umgekehrt erst recht Verendlichung sein,<br />
Wenn diese Einschränkungen zum <strong>Wesen</strong>sbestand <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong><br />
Erkenntnis gehören und die Versuche <strong>der</strong> Entschränkung<br />
7 a.a.O., A 464, B 492.<br />
8 a.a.O., A 409, TI 435 f.