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Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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284 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> im kantischen System<br />

sen dieser Tatsächlichkeit schon zu verstehen. Es gilt zu zeigen,<br />

daß im Menschen reine Vernunft wirklich für sich allein praktisch<br />

ist, daß reine Vernunft, ohne Absicht auf eine begehrte<br />

Wirkung o<strong>der</strong> erreichbare Annehmlichkeit, von sich aus wirklich<br />

den Willen bestimmt, daß reine Vernunft in sich praktisch<br />

einen reinen Willen will, d. h. an sich for<strong>der</strong>t. Es gilt zu zeigen,<br />

daß <strong>der</strong> Mensch wirklich unter das Sollen eines reinen Wollens<br />

sich gestellt weiß.<br />

Wenn <strong>der</strong> Mensch wirklich in sich einen reinen Willen will<br />

- will er z. B. die Wahrheit sagen - dann heißt das: Die Regelung<br />

seines Wollens liegt einzig im Vorstellen eines reinen Willens.<br />

Vorstellen von Regeln des praktischen HandeIns ist j e<strong>der</strong>zeit<br />

Sache <strong>der</strong> Vernunft. Wenn gar <strong>der</strong> reine Wille, also nicht<br />

dieser o<strong>der</strong> jener so und so empirisch bestimmte Wille, als regelnd<br />

vorgestellt wird, so ist diese Regel und Gesetzgebung<br />

eine solche <strong>der</strong> reinen Vernunft. Dann ist die Vernunft sich<br />

bestimmend zum Handeln, d. h. praktisch, rein von sich aus.<br />

VVenn aber <strong>der</strong> reine Wille bestimmend ist, dann hängt auch<br />

seine Verbindlichkeit nicht daran, ob das Gesetz bezogen ist<br />

auf einen zufälligen Menschen in einer zufälligen Lage des<br />

Handelns. Das Gesetz des reinen Willens ist im Gegenteil für<br />

jeden Menschen als solchen verbindlich, allgemeingültig, o<strong>der</strong><br />

wie Kant sagt, kein subjektiv bedingtes Gesetz, son<strong>der</strong>n ein<br />

objektives. Die Reinheit des Wollens erhebt den Willen des<br />

Einzelnen über die Zufälligkeiten seiner beson<strong>der</strong>en Veranlagung<br />

und Lage. Die Reinheit des Wollens ist <strong>der</strong> Grund <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Allgemeingültigkeit des Willens gesetzes. Nicht<br />

umgekehrt ist etwa die Reinheit des Wollens eine Folge <strong>der</strong><br />

Allgemeingültigkeit eines befolgten Gesetzes. Wenn dieses<br />

Wollen des reinen Willens sich erhebt über die Zufälligkeit des<br />

empirischen, auf zufällige Antriebe festgebundenen HandeIns,<br />

dann meint die Erhebung nicht ein sich Verlieren an die leere<br />

Abstraktion einer an sich gültigen Form <strong>der</strong> Gesetzlichkeit, bei<br />

<strong>der</strong> völlig unbestimmt bliebe, was nun je zu tun sei, son<strong>der</strong>n<br />

umgekehrt, die Erhebung zum reinen Willen ist <strong>der</strong> Einsatz<br />

§ 27. Die Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> 285<br />

des eigentlichen konkreten Wollens, das eben dadurch und einzig<br />

konkret ist, daß es das Wollen wirklich will und nur dieses.<br />

Wenn dagegen <strong>der</strong> Mensch sich ein Gesetz gibt, das er ansieht<br />

als lediglich für seinen beson<strong>der</strong>en subjektiven Willen gültig,<br />

so ist ein solcher nur subjektiver Grundsatz eine »Maxime«.<br />

»Saget jemanden, z. B., daß er in <strong>der</strong> Jugend arbeiten und sparen<br />

müsse, um im Alter nicht zu darben: so ist dieses eine richtige<br />

und zugleich wichtige praktische Vorschrift des Willens.<br />

Man sieht aber leicht, daß <strong>der</strong> Wille hier auf etwas an<strong>der</strong>es<br />

verwiesen werde«.25<br />

Der reine Wille, d. h. das Wollen, das als solches sich selbst<br />

Gesetz ist, ist in seinem Gesetzescharakter, weil nicht durch bestimmte<br />

subjektive Zielsetzungen bedingt, objektives Gesetz,<br />

keine Maxime. Handeln wir dagegen <strong>der</strong>art, daß <strong>der</strong> Bestimmungsgrund<br />

unseres Wollens, d. h. unsere Maxime, je<strong>der</strong>zeit<br />

zugleich so ist, daß sie jedes Wollen als solches notwendig bestimmen<br />

kann, dann handeln wir nach dem objektiven Grundgesetz<br />

unseres Willens. Das heißt, das objektive Grundgesetz<br />

<strong>der</strong> reinen praktischen Vernunft, das den Charakter eines unbedingten<br />

Gebotes, eines Kategorischen Imperativs haben muß,<br />

lautet: »Handle so, daß die Maxime deines Willens je<strong>der</strong>zeit<br />

zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten<br />

könne. «26<br />

Wir wie<strong>der</strong>holen unsere leitende Frage: Worin beweist sich<br />

reine Vernunft bei uns in <strong>der</strong> Tat als praktisch? Dadurch, daß<br />

sich <strong>der</strong> Kategorische Imperativ als tatsächlich, als Faktum erweist.<br />

27 Wodurch geschieht <strong>der</strong> Erweis? Dadurch, daß bewiesen<br />

wird, daß das Bewußtsein dieses Grundgesetzes <strong>der</strong> Vernunft<br />

faktisch ist. 28 Aber was heißt das jetzt? Hier ist die entscheidende<br />

Stelle tür das Verständnis des ganzen Problems. Kant<br />

sagt, wir können uns des moralischen Gesetzes >>unmittelbar be-<br />

25 a a.Ü., S. 23 (V, 37).<br />

26 a.a.Ü., S. 36 (V, 54).<br />

27 a.a.Ü., S. 37 (V, 56).<br />

28 a.a.Ü, S. 36 (V, 55 f.).

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