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Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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100 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />

Verstelltheit herabgesetzt, umso mehr gehört zum Sein des betreffenden<br />

Seienden die Entborgenheit. Aber solange die Wahrheit<br />

überhaupt noch auf eine Möglichkeit <strong>der</strong> Unwahrheit bezogen<br />

bleibt, ist sie nicht die eigentliche, höchste Wahrheit. Diese<br />

kann offenbar erst, wenn überhaupt, das eigentliche Sein des<br />

Seienden ausmachen. Gibt es nun ein solches Wahrsein, das als<br />

solches überhaupt nicht mehr auf Unwahrheit bezogen sein<br />

kann, das schlechthin die Möglichkeit <strong>der</strong> Verstelltheit von sich<br />

ausschließt?<br />

N ach dem Ansatz und <strong>der</strong> bisherigen Entfaltung des Problems<br />

muß diese Frage jetzt lauten: Gibt es außer dem jetzt besprochenen<br />

Seienden und den zugehörigen Arten des Seins noch ein solches,<br />

dem das eigentlichste Wahrsein zugehört? <strong>Vom</strong> Sein dessen<br />

her, was das Eigentlichste am Seienden überhaupt ausmacht,<br />

muß sich das zugehörige eigentlichste Wahrsein bestimmen. Das<br />

ist die nächste Frage, die sich aus dem Ansatz und dem Ziel <strong>der</strong><br />

Problematik ergibt. Nun ist es entscheidend für den Gehalt und<br />

das Problem des ganzen Kapitels, daß jetzt, in <strong>der</strong> Frage nach<br />

dem eigentlichsten Wahrsein, die Methode sich än<strong>der</strong>t. Aristoteles<br />

fragt nicht zuerst nach dem Sein des eigentlichsten Seienden,<br />

um dann das zugehörige Wahrsein zu erörtern, son<strong>der</strong>n nach<br />

dem Hinweis auf das Eigentlichste am Seienden fragt Aristoteles<br />

sofort nach dessen Wahrsein, um von da aus das Sein zu bestimmen<br />

- mit an<strong>der</strong>en Worten und schärfer, um dieses Wahrsein<br />

selbst als das eigentlichste Sein des eigentlichen Seienden,<br />

das Eigentlichste am eigentlichen Seienden, zu bestimmen.<br />

Aristoteles sagt an zwei Stellen bei <strong>der</strong> Vorbereitung des eigentlichen<br />

Problems: WcrJtEQ ..• '"Co UAY]1't/;t; ..• ol),;OOt; ..• '"Co dVUL 30<br />

und '"Co M dVUL '"Co Wt; UA'l'J1'tEt;.31 Früher wurde gesagt wcrJtEQ '"Co<br />

EivUL, ol),;OOt; '"Co UA'l'J1'tEt;, jetzt umgekehrt, also nicht wie vorher<br />

Übergang vom Sein des cruIlßEß'l'JXOt; zum Sein des crUYXELIlEVOV<br />

und dann zur entsprechenden Entborgenheit, son<strong>der</strong>n umgekehrt,<br />

gleich zuerst wird gefragt nach <strong>der</strong> Entborgenheit. Und<br />

30 a.a.O., 1051 b 22.<br />

31 a.a.O., 1051 b 33.<br />

§ 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 101<br />

zwar wie? Nach allem Gesagten wird klar, daß jetzt die Frage<br />

lauten muß: Welches ist die eigentlichste Wahrheit, die schlechthin<br />

auch die Möglichkeit von Verstelltheit ausschließt? Wann<br />

ist das <strong>der</strong> Fall?<br />

Wir sahen, das zuletzt betrachtete Seiende war ein crUYXELIlEVOV,<br />

z. B. die Kreide und ihre Bestimmung <strong>der</strong> Stofflichkeit. Wir<br />

können auch eine Diagonale und die Inkommensurabilität<br />

<strong>der</strong>selben durch eine Seite des Vierecks heranziehen. Die<br />

crUYXELIlEVU sind uöUVU'"CU btULQC1'tijVUL, d. h. bezüglich ihrer besteht<br />

die Unmöglichkeit des Auseinan<strong>der</strong>nehmens, wenn das betreffende<br />

Seiende bestimmt sein soll. Dergleichen bezeichnet Aristoteles<br />

auch kurz als ubtutQnu. 32 Wir fragen: Gibt es noch ein höheres<br />

nicht Auseinan<strong>der</strong>nehmbares als das, was ständig und notwendig<br />

zusammengehört? Offenbar. Jenes, was überhaupt kein<br />

Beisammen des einen mit dem an<strong>der</strong>en ist, was überhaupt in sich<br />

kein Beisammen, kein cruv hat, das UcrUV1'tEtOV. Kurz und positiv<br />

die ucruv1'tETU gefaßt: '"Cu UJtAÜ. So ergibt sich folgende Reihe <strong>der</strong><br />

Untersuchung: cruIlßEß'l'JXO'"Cu, crUYXELIlEVU, uöUVU'"CU btULQE1'tijvUL,<br />

MtUtQE'"CU, ucr{,v1'tnu, UJtAÜ.<br />

Nicht jedes UbtUtQEtOv ist ein UJtAOUV, wohl aber umgekehrt,<br />

jedes UJtAOUV ist ein UbtU[QE'"COV und zwar im höchsten und eigentlichen<br />

Sinne, weil das Zusammengehörige nicht nur schlechthin<br />

unzertrennlich ist, son<strong>der</strong>n weil hier überhaupt kein Zusammengehöriges<br />

mehr vorkommt, weil es hier eben als Einfaches überhaupt<br />

nichts Zusammengehöriges zeigt. Wenn also das schlechthin<br />

Einfache entborgen ist in dem, was es ist, dann bringt es als<br />

Einfaches nie noch an<strong>der</strong>es mit, als welches es bestimmt werden<br />

müßte und könnte. Es ist nie und nimmer offenbar als das und<br />

das, son<strong>der</strong>n schlicht und schlechthin rein an ihm selbst nur es<br />

selbst. Die Entborgenheit des Einfachen an ihm selbst kann nie<br />

verstellt werden durch etwas, was dem Einfachen nicht zugehört.<br />

Diese Entborgenheit kann nicht deshalb nicht zur Verstelltheit<br />

werden, weil etwa ständig das dem Einfachen Zugehörige of-<br />

32 Aristoteles, De anima (Riehl/Apelt). Leipzig (Teubner) 1911. r 6,<br />

430 a 26 und b 6 ff.

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