06.06.2015 Aufrufe

"Langfassung der Studie zur Lebenssituation von Frauen mit ...

"Langfassung der Studie zur Lebenssituation von Frauen mit ...

"Langfassung der Studie zur Lebenssituation von Frauen mit ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Seite 31<br />

Kapitel II<br />

Der Anteil gehörloser Menschen an <strong>der</strong> Bevölkerung wird auf ca. eine auf tausend Personen<br />

<strong>der</strong> Gesamtbevölkerung geschätzt. In <strong>der</strong> Bundesrepublik leben demnach ca. 80.000<br />

gehörlose <strong>Frauen</strong> und Männer. Für die meisten <strong>von</strong> ihnen ist die Deutsche Gebärdensprache<br />

das bevorzugte Kommunikations<strong>mit</strong>tel. Die deutsche Sprache in schriftlicher und womöglich<br />

auch in ihrer gesprochenen Form hat für die meisten gehörlosen Menschen den Status einer<br />

zweiten Sprache. Viele Gehörlose haben Schwierigkeiten, sich schriftlich <strong>mit</strong>zuteilen und<br />

geschriebene Texte inhaltlich zu verstehen. Das liegt daran, dass die Grammatiken <strong>der</strong><br />

Schrift- und <strong>der</strong> Gebärdensprache verschieden sind und die Schriftsprache für Gehörlose <strong>mit</strong><br />

einer Fremdsprache vergleichbar ist. Daher ist <strong>der</strong> Schriftsprachwortschatz bei Gehörlosen<br />

weniger umfangreich und <strong>der</strong> Satzbau entspricht oft nicht den grammatischen Regeln <strong>der</strong><br />

deutschen Schriftsprache.<br />

Die Gehörlosengemeinschaft ist traditionell sehr engmaschig organisiert, fast jede zweite<br />

gehörlose Person ist Mitglied in einem Gehörlosenverein o<strong>der</strong> Gehörlosenverband. Der<br />

Deutsche Gehörlosen-Bund als Dachorganisation vieler Gehörlosenvereine verfügt über ca.<br />

30.000 Mitglie<strong>der</strong>. Demzufolge ist auch <strong>der</strong> Bekanntheitsgrad innerhalb <strong>der</strong> Gehörlosengemeinschaft<br />

sehr hoch. Die bereits durch den gemeinsamen Schulbesuch geknüpften<br />

Verbindungen setzen sich in den Vereinen, dem Besuch gemeinsamer Veranstaltungen o<strong>der</strong><br />

Großveranstaltungen wie dem Berliner Gebärdensprachfestival 33 o<strong>der</strong> den Kulturtagen 34 <strong>der</strong><br />

Gehörlosen fort. Eheschließungen und Familiengründungen finden vorwiegend innerhalb <strong>der</strong><br />

Gehörlosengemeinschaft statt (Gotthardt-Pfeiff 1991), wie auch die vorliegende <strong>Studie</strong><br />

aufzeigen konnte (vgl. Kap. 4.1.2).<br />

Im gesellschaftlichen Zusammenleben macht sich Gehörlosigkeit als Behin<strong>der</strong>ung primär in<br />

kommunikativen Zusammenhängen bemerkbar. Das gilt vor allem für das Verstehen <strong>von</strong> und<br />

Sich-verständlich-Machen in gesprochener Sprache, da Gehörlose oft nur einige Wörter <strong>von</strong><br />

dem verstehen, was Hörende sagen. Hier handelt es sich oft um ein ,rekonstruierendes<br />

Verstehen‘: „Ein vager Vorgang <strong>der</strong> Sinnerschließung, <strong>der</strong> seinen Ausgang <strong>von</strong> einzelnen<br />

fragmentarisch wahrgenommenen sprachlichen Elementen nimmt und auf dem Abwägen<br />

<strong>von</strong> Möglichkeiten vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontext- und Weltwissens o<strong>der</strong> auch<br />

schlichtem Raten beruht“ (Ebbinghaus/Heßmann 1989: 115).<br />

Den beson<strong>der</strong>en kommunikativen Bedürfnissen gehörloser Menschen Rechnung zu tragen,<br />

war eines <strong>der</strong> Hauptanliegen bei <strong>der</strong> Befragung gehörloser <strong>Frauen</strong> im Zusammenhang <strong>der</strong><br />

vorliegenden <strong>Studie</strong>. Die Befragung sollte nicht nur in <strong>der</strong> Erst- bzw. Muttersprache dieser<br />

Zielgruppe erfolgen, son<strong>der</strong>n darüber hinaus auch <strong>von</strong> gehörlosen <strong>Frauen</strong> als Angehörige<br />

dieser beson<strong>der</strong>en Sprachgemeinschaft durchgeführt werden. Da<strong>mit</strong> sollte auch ein<br />

mögliches Macht- und Kommunikationsgefälle zwischen Interviewerin und Befragter<br />

vermieden werden, welches die Aufdeckung <strong>von</strong> Gewalt erschweren kann.<br />

Gewinnung <strong>der</strong> Interviewerinnen und Interviewpartnerinnen<br />

Um gehörlose <strong>Frauen</strong> als Interviewpartnerinnen überhaupt zu erreichen und sie darüber<br />

hinaus für die Teilnahme an dieser <strong>Studie</strong> zu gewinnen, erfolgten im Vorfeld Aufrufe auf den<br />

33<br />

34<br />

Siehe http://www.goldene-hand.de/.<br />

Siehe http://www.gehoerlosen-kulturtage.de/.<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!