Trainingshandbuch Recherche : Informationsbeschaffung
Trainingshandbuch Recherche : Informationsbeschaffung
Trainingshandbuch Recherche : Informationsbeschaffung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Recherchieren als Seminar<br />
Viertes Seminarziel: Die Kompetenz stärken<br />
Natürlich lassen sich auch die zuvor genannten Seminarziele zur Kompetenz<br />
zählen. Ich möchte hier aber noch einige handwerkliche Fertigkeiten besonders<br />
betonen, um vor den „kreativen Chaoten“ nachdrücklich zu warnen: „Wir wurden<br />
ja auch deshalb Journalisten, weil uns jeder Tag etwas Neues bringt und der<br />
unaufgeräumte Schreibtisch für unseren Schöpfergeist steht.“ Wir sollten unseren<br />
Seminaristen den schönen Schein dieser Einstellung verdeutlichen und uns<br />
wie ihnen klar machen, dass zum Recherchieren auch ein paar Handwerkstugenden<br />
gehören:<br />
Erstens Pingeligkeit und Selbstdisziplin: Man muss ja nicht gleich wie einige<br />
US-Pulitzer-Preisträger während vieler Wochen Tausende von Datensätzen per<br />
Computerprogramm durchrechnen, um schließlich einer Wahlfälschung auf die<br />
Spur zu kommen. Aber eine penible Datenbeschaffung und präzise Auswertung<br />
sollten schon sein.<br />
Zweitens unsere Spezialtugenden: die wichtigste, Hartnäckigkeit bis hin zur<br />
Sturheit, ohne die man angesichts der Verweigerungshaltung der Behörden-Pressestelle<br />
das Thema fallen lässt oder dem nörgelnden Ressortchef nachgibt und<br />
eine unfertige <strong>Recherche</strong> publiziert.<br />
Drittens die Sekundärtugenden Zuverlässigkeit (die bei Terminen beginnt und<br />
beim Versand von Belegen endet) und - nicht zuletzt - äußerliche Angepasstheit:<br />
Auch Journalisten sind Rollenträger. Gute <strong>Recherche</strong>ure spielen sich nicht auf,<br />
sondern geben sich gewandt wie ein Fisch im Wasser.<br />
Die wichtigste Verhaltensregel, die unsere Seminaristen lernen sollten, zum<br />
Schluss: Beim Befragen der Akteure sollen sie niemals hoch-, sondern stets<br />
tiefstapeln. Also nicht so tun, als wüssten sie es schon (Bluff hat meist kurze<br />
Beine), sondern so, als wüssten sie (fast) nichts. Nur, wer sich (fast) unwissend<br />
gibt, fordert die anderen auf, ihnen etwas zu erzählen. Und nur dies führt am<br />
Ende zu einer schönen Geschichte.<br />
Literatur:<br />
Haller, Michael: <strong>Recherche</strong>-Werkstatt, Konstanz 2001<br />
35