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Trainingshandbuch Recherche : Informationsbeschaffung

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<strong>Recherche</strong> als „Geodäsie“ des sozialen Raumes<br />

Gesellschaftliches Leben spielt sich nicht im Vakuum des Labors ab. Jeder<br />

Raum ist nicht nur geografischer, sondern immer auch sozialer, gestalteter Raum,<br />

in dem ein Netz von Kräften wirksam wird. Räume lassen sich lesen wie Texte.<br />

Wer die Innenseite eines Milieus, einer Sekte, einer Bewegung fassen will, sieht<br />

sich in erster Linie an die Methoden der cultural studies (die „Schulen“ von<br />

Chicago, Birmingham als Vorbild) verwiesen. Diese erschließen ihr Feld auf der<br />

Beobachtungs- und Handlungsebene und suchen so dessen Mechanik und Symbolik<br />

zu verstehen.<br />

Andere Wahrheiten aufspüren<br />

Nach der Art der Landvermesser vermisst die <strong>Recherche</strong> den Raum. Sie umkreist<br />

das Objekt ihres Interesses, besieht es von verschiedenen Seiten und scheut die<br />

flotten Fragen und die einseitige Konfronation. Dies erfordert Zeit, Mühe, geplante<br />

Umwege und Akteursbewußtsein, das heißt, durch seinen Eintritt ins Feld<br />

erkennt der Journalist an, dass er selbst ein gestaltender Teil der Wirklichkeit ist,<br />

die er eigentlich nur abbilden will. Das schließt die Kritik und den Diskurs nicht<br />

aus, sondern ermöglicht sie erst, sofern die Erkenntnisinteressen, Hypothesen<br />

und <strong>Recherche</strong>-Wege später bei der Darstellung transparent bleiben.<br />

Damit büßt der Journalist zunächst einmal Autorität ein. Er ist kein Solist<br />

mehr. Mit seiner Wahrheit tritt er zurück in den vielstimmigen Chor der Wahrheiten.<br />

Zugleich aber begründet er seine Autorität neu. Als versierter Grenzgänger<br />

und Insider („taking the role of the other“) besitzt er Informationen, die andere<br />

nicht haben, und er kann mit Kenntnissen und Motiven spielen, verfügt über eine<br />

klare Interpretation und weiß Wirkung zu erzeugen. Wer seine Pappenheimer<br />

kennt und ihre Darstellungsformen bis ins Detail beoachten gelernt hat, der wird<br />

auch im Überangebot der ‘gefakten’ Themen, Bilder oder „Opfergeschichten“<br />

nicht untergehen.<br />

Die Wiederentdeckung des <strong>Recherche</strong>urs<br />

Die Figur des – nennen wir ihn – „Ethno-Journalisten“ ist keine Erfindung und<br />

auch keine Domäne der cultural studies, sondern allenfalls eine Wiederentdekkung.<br />

Seinen Typus hat es in der Geschichte des Journalismus immer gegeben –<br />

und zwar von Anfang an.<br />

Entstanden ist er um 1900 mit der Herausbildung der modernen Großstadt aus<br />

der Symbiose und Personalunion mit Professionen, die damals noch gar nicht<br />

spezialisiert waren: dem detective (Kriminalbeamten), dem Privatdetektiv, dem<br />

Soziologen, dem Fotografen, dem Sozialarbeiter usw. Zwei Namen haben Ge-<br />

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