Trainingshandbuch Recherche : Informationsbeschaffung
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Eine-Quelle-Geschichten und andere Übel<br />
heraus, dass es die Lösung jedoch nicht gibt, beziehungsweise dass sie die falsche<br />
gefunden haben. Die richtige wäre nur zu finden gewesen, wenn man sich<br />
zuerst fragt, was denn als gesicherte Erkenntnis gelten darf.<br />
Man kann das Seminar freilich auch mit dieser Art von Übung beginnen, die<br />
Methodik an den Anfang stellen und dann auf das Übel der Eine-Quelle-Geschichten<br />
zu sprechen kommen. Die umgekehrte Reihenfolge eignet sich eher,<br />
weil die Methodik letztendlich mehr Theorie erfordert. Man muss doch auch ein<br />
wenig über Fakten- und Deutungsebene sprechen, was den Einstieg ins Seminar<br />
womöglich etwas erschwert. Grundsätzlich aber ist die Reihenfolge der Übungen<br />
nicht von entscheidender Bedeutung.<br />
Übung: Zwei Agenturmeldungen<br />
Eine erste Übung besteht aus zwei Agenturmeldungen zum gleichen Thema. Die<br />
eine Agentur berichtet, das Spendenaufkommen im vergangenen Jahr sei gestiegen.<br />
Die andere behauptet, es sei gefallen. Welche Version stimmt? Die Teilnehmer<br />
telefonieren mit einem Experten, der die in der Meldung zitierte Studie erstellt hat,<br />
dann entscheiden sie sich für eine der beiden Versionen. Meist liegen sie falsch.<br />
Richtig wäre: Keine der beiden Versionen stimmt. Wer methodisch vorgeht, prüft<br />
zuerst die Grundlage und fragt sich: Was ist gesichert? Dabei erfährt er, dass das<br />
Spendenaufkommen auf Schätzungen und fragwürdigen Umfragen beruht. Darin<br />
wurde lediglich gefragt, ob die Befragten noch spenden würden - was freilich die<br />
wenigsten verneinen.<br />
Eine andere Übung hat mit der Auflagenzahl einer kleinen deutschsprachigen<br />
Exilzeitung namens Aufbau zu tun. Es gibt in verschiedenen Texten widersprüchliche<br />
Auflagenzahlen. Die Seminarteilnehmer telefonieren, um sich die Auflage<br />
nennen zu lassen, aber kaum einer entdeckt, dass völlig unterschiedliche Maßstäbe<br />
zugrunde liegen. Einmal ist von Druckauflage, dann von Abos, dann von Lesern<br />
die Rede. Die richtige Antwort müsste lauten: Man kennt die Auflage nicht. Aus<br />
den Texten ergeben sich berechtigte Zweifel an den Angaben des Verlags. Zudem<br />
ist die Zeitung zu klein, als dass ihre Auflage von der IVW (Informationsgemeinschaft<br />
zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) geprüft würde. Der<br />
Lerneffekt: Um die Übung lösen zu können, muss man die Grundlage prüfen.<br />
Wer methodisches Vorgehen einmal gelernt hat, der muss es nicht ständig nach<br />
Lehrbuch anwenden. Aber wenn er ein Hindernis spürt und nicht mehr weiter weiß,<br />
kann er sich die beiden Ebenen des Recherchierens in Erinnerung rufen - und sich<br />
vergegenwärtigen, was gesichert ist, was widersprüchlich und daher noch zu recherchieren<br />
ist. Wer dies - und das Pendeln zwischen Informanten - befolgt, der<br />
braucht keine Angst vor dem Scheitern zu haben.<br />
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