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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />

neben den von al-Šāfi’ī zusammengestellten vier klassischen<br />

Rechtsquellen zusätzlich vor allem auf die<br />

Berücksichtigung des Allgemeinwohls (maslaha) <strong>und</strong><br />

auf die eigenständige Interpretation der Quellen<br />

(Idschtihad), die sich entweder auf bekannte Präzedenzfälle<br />

bezieht oder neue für muslimische Minderheiten<br />

schafft. Die Praxistauglichkeit einer Rechtsmeinung<br />

in der Lebenswirklichkeit der Gläubigen ist<br />

hier das entscheidende Merkmal. Daran anknüpfend<br />

identifiziert Albrecht drei Leitprinzipien, die für das<br />

Minderheitenrecht maßgeblich sind: (1) die Berücksichtigung<br />

von Zeit, Ort <strong>und</strong> Umständen eines Falles,<br />

(2) die Erleichterung (taysīr) für den Muslim basierend<br />

u.a. auf Sure 2:185 <strong>und</strong> (3) die Gradualität (tadarruj)<br />

der Vorgehensweise, dank der sich die betreffenden<br />

Gläubigen schrittweise mit islamischen Vorschriften<br />

vertraut machen können. Diese Prinzipien<br />

»bieten ihm [al-Qaradāwī] im iftā’ die argumentative<br />

Basis für die Berücksichtigung der Lebensumstände<br />

muslimischer Minderheiten <strong>und</strong> räumen die Möglichkeit<br />

ein, regulär Verbotenes in Ausnahmefällen zu legitimieren.«<br />

(76) Damit kommt al-Qaradāwī dem einzelnen<br />

Muslim entgegen, um derart das Wohl der<br />

Gemeinschaft <strong>und</strong> deren muslimische Identität zu<br />

stärken. Denn wenn jeder Einzelne sich mit islamischen<br />

Normen <strong>und</strong> islamischer Autorität verb<strong>und</strong>en<br />

fühlt, dann diene dies auch der Stärkung der islamischen<br />

Erweckungs-Bewegung (sahwa).<br />

So ist denn auch der Beratungsbedarf für Muslime<br />

außerhalb muslimischer Mehrheitsgesellschaften<br />

hoch. al-Qaradāwī unterscheidet sechs große Themenkomplexe,<br />

die die Notwendigkeit für die Entwicklung<br />

eines Minderheitenrechts verdeutlichen <strong>und</strong><br />

die sich auf der ganzen Welt ähneln: (1) Loyalität gegenüber<br />

dem nichtislamischen Staat <strong>und</strong> politische<br />

Partizipation, (2) Einhaltung der Speisevorschriften,<br />

(3) Verhalten gegenüber Nichtmuslimen, (4) Eherecht,<br />

(5) Erbrecht <strong>und</strong> (6) Umgang mit Banken <strong>und</strong><br />

Versicherungen. Albrecht stellt jedoch fest, dass in al-<br />

Qaradāwīs Fatwas in erster Linie folgende Themenfelder<br />

relevant sind: familienrechtliche Anfragen (insbesondere<br />

zur Eheschließung), der Umgang mit<br />

Nichtmuslimen <strong>und</strong> finanzielle Fragen. Die drei Leitprinzipien<br />

des Minderheitenrechts finden sich in den<br />

von Albrecht vorgestellten charakteristischen Fatwa-<br />

Beispielen zur gemischtreligiösen Ehe, zu nichtislamischen<br />

Feiertagen <strong>und</strong> zum kreditgestützten Hauskauf<br />

hingegen nur bedingt wieder. Sie selbst räumt<br />

ein, dass der Gr<strong>und</strong>satz der Gradualität kaum vorkommt.<br />

Stattdessen spielen der Koran als Rechtsquelle<br />

sowie das Prinzip der Notwendigkeit (darūra), aber<br />

stellenweise auch das oben genannte Prinzip der Erleichterung<br />

eine wichtige Rolle.<br />

al-Qaradāwīs Minderheitenrecht stellt das Recht des<br />

Aufenthaltsl<strong>and</strong>es wenn nötig über islamische Vorschriften.<br />

Gleichzeitig sei aber der Islam das identitätsstiftende<br />

Merkmal aller Muslime ohne Rücksicht<br />

auf ihre persönlichen Hintergründe. Dieser Widerspruch<br />

führt letztlich zu Segregations-Tendenzen,<br />

wenn etwa Muslime die Nachbarschaft von Muslimen<br />

suchen sollen, um so islamkonform zu leben, wie sie<br />

sich das wünschen. »Ob <strong>und</strong> inwieweit dieses Bestreben,<br />

eine muslimische Sub- bzw. Parallelgesellschaft<br />

zu errichten, dem übergeordneten Ziel, da’wa unter<br />

der nicht-muslimischen Bevölkerungsmehrheit zu betreiben,<br />

dienlich ist, erscheint indes fragwürdig.« (97)<br />

al-Qaradāwīs Rechtsmeinung ist folglich auch nicht<br />

unumstritten. Albrecht nennt zum Beispiel mit Tariq<br />

Ramadan einen Denker, der den Terminus »Minderheit«<br />

äußerst kritisch sieht, um nur eine Gegenmeinung<br />

herauszugreifen.<br />

Zwar gibt es einige, letztlich marginale begriffliche<br />

Unschärfen <strong>und</strong> formale Uneinheitlichkeiten in der<br />

ansonsten äußerst sauber redigierten Arbeit von Sarah<br />

Albrecht. Doch sie ist insgesamt f<strong>und</strong>iert recherchiert<br />

<strong>und</strong> beschränkt sich auf das Wesentliche zum Thema,<br />

wobei viele Fußnoten weiterführende Hinweise enthalten.<br />

Weitere Studien zu <strong>and</strong>eren Aspekten eines<br />

wie auch immer gearteten islamischen Minderheitenrechts<br />

sind darin angelegt. Mit ihrer Arbeit hat Sarah<br />

Albrecht einen sehr erfreulichen Beitrag dazu geleistet.<br />

Jens Kutscher, Erlangen<br />

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al-Mdaires, Falah Abdullah (2010): Islamic Extremism<br />

in Kuwait. From the Muslim Brotherhood<br />

to al-Qaeda <strong>and</strong> other Islamist Political Groups. –<br />

Routledge: London & New York, 292 p.<br />

Der vorliegende B<strong>and</strong> des kuwaitischen Politikwissenschaftsprofessors<br />

Falah Abdullah al-Mdaires, der<br />

bereits eine beachtliche Anzahl arabischsprachiger<br />

Studien über die historische Genese aller wesentlichen<br />

politischen Strömungen in Kuwait verfasst hat,<br />

schreibt sich auf die Fahnen erstmals einen kompletten<br />

Überblick über den islamischen Extremismus in<br />

Kuwait zu liefern. Bereits in der historischen Heranführung<br />

an das Thema (Kapitel 1: The roots of the Islamist<br />

political groups) wird deutlich, dass seitens des<br />

Autors von einer fragwürdigen impliziten Deckungsgleichheit<br />

zwischen Islamismus <strong>und</strong> islamischen Extremismus<br />

ausgegangen wird. Dementsprechend findet<br />

sich auch in allen weiteren Kapitelbezeichnungen beständig<br />

der Terminus Islamist, ganz im Gegensatz<br />

zum Titel gebenden islamischen Extremismus. Das<br />

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