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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />

hat, “irgendwann zwischen 1860 <strong>und</strong> 1880” (S. 7), ob<br />

es, wie manche in den anhaltenden Diskussionen<br />

meinen, in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges<br />

untergegangen ist oder erst mit seinem letzten<br />

Aufbäumen im Suez-Krieg von 1956 sein ‘endgültiges<br />

Ende’ erlitten hat. Zu Beginn des britischen “Augenblicks”<br />

im Nahen Osten, als sich die Großmächte<br />

jener Tage, Britannien <strong>und</strong> Frankreich, Territorien des<br />

untergegangenen Osmanischen Reiches als M<strong>and</strong>ate<br />

des Völkerb<strong>und</strong>es zuschanzten, hatte das Britische<br />

Reich seine größte geographische Ausdehnung erreicht.<br />

Doch der “Augenblick”, eine winzige Zeitspanne<br />

in der jahrtausendealten Geschichte des Vorderen<br />

Orients, der zur Wiege der westlichen Kultur<br />

wurde, war für Monroe eben 1971 mit dem britischen<br />

Abzug von “östlich von Suez” vorüber.<br />

Welche Stelle nimmt in diesem historischen Rahmen<br />

das jüngste katastrophale Scheitern Britanniens<br />

im Irak als “Beifahrer” (riding pillion) der Vereinigten<br />

Staaten ein, um einen Begriff aus einem Papier<br />

des Chatham House von 2005 anzuführen? Gleichsam<br />

ein ‘weiteres Ende’ des Britischen Reiches? Die anhaltende<br />

britische Verwicklung in Afghanistan, wo<br />

Britannien in Kolonialkriegen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

ebenso wenig Lorbeeren errungen hat, ist in diese<br />

Studie nicht eingeschlossen, obschon das zentralasiatische<br />

L<strong>and</strong> <strong>und</strong> selbst Pakistan inzwischen politisch<br />

dem ‘erweiterten Nahen Osten’ zugerechnet werden<br />

<strong>und</strong> sich der Krieg in Afghanistan als eine militärischpolitische<br />

Ausdehnung des Irak-Krieges verstehen<br />

lässt. Ist Britannien denn nicht noch immer, wie schon<br />

in den 20er <strong>und</strong> 30er Jahren des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

in seinen nahöstlichen M<strong>and</strong>atsgebieten, unterwegs<br />

in einer Bildungsmission (civilising mission)?<br />

Besitzt nicht noch immer das Wort des amerikanischen<br />

Außenminister Dean Acheson von 1962 Gültigkeit,<br />

Britannien habe ein Reich verloren, doch noch<br />

keine Rolle gef<strong>und</strong>en?<br />

Die Vierzehn Punkte des amerikanischen Präsidenten<br />

Woodrow Wilson vom Oktober 1918, namentlich<br />

der zwölfte, der den vom ‘osmanischen Joch befreiten’<br />

Völkerschaften versprach, ihre politischen Geschäfte<br />

künftig in ihre eigenen Hände nehmen zu dürfen,<br />

entsprach Forderungen dieser Völker, legte jedoch<br />

den Keim zu ihrer Entfremdung von Britannien.<br />

Denn die Regierung in London zeigte ungeachtet ähnlich<br />

lautender Erklärungen keine Eile, politische<br />

Macht einheimischen Eliten zu überlassen. Von einem<br />

Ende des Kolonialismus wollte das britische Establishment<br />

zu diesem Zeitpunkt noch nichts wissen.<br />

Diese Haltung brachte die Briten nicht nur in Gegensatz<br />

zu den betroffenen Einheimischen, sondern<br />

auch zu den prinzipiell antikolonialistischen Amerikanern,<br />

die nach Ausbruch des Kalten Krieges zur<br />

‘Eindämmung’ der Sowjetunion im Nahen Osten <strong>und</strong><br />

bei der Verfolgung von Wirtschaftsinteressen, namentlich<br />

zur unbehinderten Ölzufuhr, zu Abstrichen<br />

von diesen hehren Prinzipien bereit waren. Hollis<br />

führt als Beispiel das amerikanisch-britische Zusammenwirken<br />

beim Sturz der iranischen Regierung unter<br />

Mohammed Mosaddegh 1953 <strong>und</strong> der Wiedereinsetzung<br />

des Schahs an (S. 17). Historische Verbindungs-<br />

178<br />

linien lassen sich von der Komplizenschaft mit ganz<br />

<strong>und</strong> gar nicht demokratischen Regimen der Region<br />

<strong>und</strong> deren Unterstützung durch Amerika <strong>und</strong> in seinem<br />

Gefolge Britannien bis in unsere Tage ziehen.<br />

Hollis zitiert den Oxforder Nahost-Historiker Albert<br />

Hourani mit dem angeborenen Überlegenheitsanspruch<br />

Britanniens, von dem das Recht zum Herrschen<br />

über <strong>and</strong>ere abgeleitet werde (S. 15), <strong>und</strong> seinen<br />

Oxford-Kollegen William Roger Louis mit Beobachtungen<br />

zum anglo-amerikanischen Vorgehen in Iran<br />

1953: nur eine Episode in einer Reihe, um das Britische<br />

Reich in ein informelles oder neo-koloniales<br />

System von Klientelstaaten <strong>und</strong> H<strong>and</strong>elsunternehmen<br />

zu verw<strong>and</strong>eln zur Förderung des Freien Marktes <strong>und</strong><br />

gegen die Bedrohung durch den Kommunismus.<br />

Schon wenige Jahre später sollten sich politisch ihre<br />

Wege trennen: Die Amerikaner stimmten nicht dem<br />

“altmodischen Imperialismus” zu <strong>und</strong> zwangen Britannien<br />

durch finanziellen Druck sowie Frankreich<br />

<strong>und</strong> Israel, ihr “Suez-Abenteuer” abzublasen. “Dann<br />

schritt die Demontage der imperialen Rolle Britanniens<br />

im Nahen Osten rasch voran, wenn auch nicht<br />

immer reibungslos”, bemerkt Hollis <strong>und</strong> erinnert an<br />

die 1958 blutig gestürzte, einst von Britannien eingesetzte<br />

Haschemiten-Monarchie im Irak <strong>und</strong> den britischen<br />

Abzug aus Aden 1967 infolge heftiger einheimischer<br />

Opposition, unterstützt von Gamal Abdal<br />

Nasir. In diesem Jahr wurden die Vereinigten Staaten,<br />

schon “verschanzt” in Iran <strong>und</strong> Saudi-Arabien, zur<br />

neuen Macht im Nahen Osten, mit der fortan zu rechnen<br />

war (S. 18f.).<br />

Nach dem Antritt der Labour-Regierung im Oktober<br />

1964, die anti-imperialistische Vorstellungen hegte,<br />

befürwortete eine beträchtliche Fraktion öffentlich<br />

den Abzug von britischen Stützpunkten ‘östlich von<br />

Suez’, einschließlich denen in der Region des Persischen<br />

Golfes, um den Verteidigungshaushalt zu kürzen<br />

– ein Argument, das im Jahre 2010 vertraut<br />

klingt. In den Worten des damaligen Außenministers<br />

Michael Stewart hatte Britannien sich damit abzufinden,<br />

eine ‘größere Macht zweiten Ranges’ zu sein,<br />

während es seine ‘Stellung von beträchtlichem Einfluss<br />

auf der ganzen Welt behauptete’ (S. 20). 1979<br />

war das Jahr der iranischen Revolution <strong>und</strong> der sowjetischen<br />

Invasion Afghanistans. Die Auswirkungen<br />

beider Ereignisse veranlassten die Vereinigten Staaten,<br />

die Führungsrolle zur Sicherung der Golfregion<br />

zu übernehmen, während die Rolle <strong>und</strong> der Einfluss<br />

Britanniens fortan dem der Vereinigten Staaten nicht<br />

nahekam, doch wenigstens in diplomatischen Begriffen<br />

blieb die britische Politik, so tröstet Hollis sich<br />

<strong>und</strong> ihre britischen Leser, “ausgeprägt” (distinctive)<br />

(S. 22).<br />

Das derzeitige Staatensystem des Nahen Ostens zu<br />

verstehen, ohne die britischen <strong>und</strong> französischen Machenschaften<br />

im 19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert zu<br />

berücksichtigen, erscheint auch der Verfasserin unmöglich.<br />

Das Vermächtnis lebe fort, bemerkt sie treffend;<br />

ihren L<strong>and</strong>sleuten hält sie jedoch vor, die letzten<br />

Jahrzehnte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts damit verbracht zu<br />

haben, psychologisches Gepäck ihres Reiches abzuwerfen<br />

(cast off), das die Briten bis zum Jahre 1979

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