4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations
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DAVO-DISSERTATIONSPREIS 2011 DAVO DISSERTATION AWARD 2011<br />
che Spielräume sie im politischen System <strong>und</strong> im<br />
Mediensystem hatten <strong>und</strong> wie unter den autoritären<br />
Gegebenheiten Medien überhaupt Einfluss auf Gesellschaft<br />
<strong>und</strong> Politik nahmen <strong>und</strong> gegebenenfalls zu<br />
einer Demokratisierung beitragen können.<br />
Die Autorin entwickelt hierzu einen interdisziplinären<br />
Ansatz mit Rückgriffen auf die politikwissenschaftliche<br />
Transformationsforschung, Theorien der<br />
Forschung zu sozialen Bewegungen <strong>und</strong> kommunikationswissenschaftlichen<br />
Theorien. Mit dieser konsequent<br />
durchgeführten Synthese der drei Disziplinen<br />
beschreitet die Autorin in theoretischer Hinsicht wissenschaftliches<br />
Neul<strong>and</strong>.<br />
Die aus den theoretischen Ansätzen <strong>und</strong> der Beschreibung<br />
der systemischen Bedingungen in Ägypten<br />
abgeleitete Operationalisierung des Demokratisierungspotentials<br />
durch Medien islamistischer Akteure<br />
wird in einem zweiten Schritt auf verschiedenen Ebenen<br />
empirisch geprüft. Dabei werden mit einer vergleichenden<br />
Inhalts- <strong>und</strong> Framinganalyse sowohl die<br />
Medieninhalte der Islamisten <strong>und</strong> ihre Resonanz untersucht<br />
als auch mittels Leitfadeninterviews die Produzenten<br />
dieser Inhalte <strong>und</strong> der Resonanzorgane<br />
befragt sowie mit einem quantitativen Fragebogen die<br />
Nutzer dieser Inhalte bezüglich ihrer Mediennutzung,<br />
politischen Interessen, politischen Einstellungen <strong>und</strong><br />
politischer Partizipation untersucht <strong>und</strong> in Vergleich<br />
zu <strong>and</strong>eren Schichten der ägyptischen Bevölkerung<br />
gestellt. In dieser äußerst anspruchsvollen methodischen<br />
Anlage ist die größte Stärke der vorgelegten<br />
Arbeit zu sehen.<br />
Im Hinblick auf die Medieninhalte wird gezeigt,<br />
dass durch die Muslimbrüder offensichtlich nicht<br />
dezidiert neue Themen auf die Agenda gesetzt wurden<br />
<strong>und</strong> sie somit nicht (mehr) als Tabu-Brecher<br />
gesehen werden können. Das islamistische Medium<br />
fungiert jedoch als dauerhafte Stimulation für Diskurse,<br />
denen sich insbesondere die private Presse aufgr<strong>und</strong><br />
der gesellschaftlichen Bedeutung der Muslimbrüder<br />
nicht verweigern wollte.<br />
Auf der Ebene der Produzenten ergeben die Interviews,<br />
dass die Muslimbrüder von den Liberalisierungstendenzen<br />
im ägyptischen Mediensystem profitieren<br />
<strong>und</strong> die Professionalisierung im Journalismus<br />
<strong>und</strong> die immer stärkere Orientierung auf Nachrichtenfaktoren<br />
gezielt in die eigenen Strategien einbeziehen<br />
konnten.<br />
Die Untersuchung der Nutzer islamischer Medien<br />
verdeutlicht, dass diese ein deutlich höheres politisches<br />
Interesse <strong>und</strong> eine wesentlich stärkere politische<br />
Partizipation als die Vergleichsgruppen aufweisen.<br />
Offensichtlich spielen die Art der Vorprägung durch<br />
das Zusammenspiel von politischem Interesse, kritischen<br />
politischen Einstellungen <strong>und</strong> hoher Religiosität<br />
eine große Rolle für politischen Aktivismus.<br />
Die Autorin stellt schließlich fest, dass diese Medien<br />
tatsächlich zu einer demokratischen Partizipationskultur<br />
anleiten – wie recht sie damit hatte, zeigt der<br />
„Arabische Frühling“.<br />
10<br />
1.4 18. DAVO-Kongress in Berlin<br />
2011: Zusammenfassungen von<br />
Vorträgen<br />
Inhaltsverzeichnis:<br />
1. Arabische Revolution 2011 im historischen Vergleich.<br />
2. Who is Afraid of the Arab Spring?<br />
3. Perspectives on Practices of Authoritarian ‘Governance’<br />
in Syria<br />
4. Golfökonomien im Umbruch<br />
5. Wirtschaftliche, soziale <strong>und</strong> politische Hintergründe<br />
der Umbrüche in der arabischen Welt<br />
6. Locating the Popular in Arab Countries<br />
7. Women in Business<br />
8. Islamische Autorität(en) in muslimischen Minderheitskontexten<br />
9. Benevolent Engagement among Muslims: Triggers,<br />
Target Groups, Fields of Action<br />
10. The History of Perestroika in Central Asia: Politics<br />
<strong>and</strong> Memories<br />
11. Weitere Vorträge (alphabetisch nach Autoren geordnet)<br />
1. Arabische Revolution 2011<br />
Werner Ruf (Kassel): „Arabellion 2011“: Morgendämmerung<br />
für einen W<strong>and</strong>el des Internationalen<br />
Systems?<br />
Zumindest die Aufstände in Tunesien <strong>und</strong> Ägypten<br />
wurden von den USA begrüßt <strong>und</strong> unterstützt, die<br />
westlichen Medien feierten unisono den Mut der<br />
Menschen, die sich gegen ihre Tyrannen – die über<br />
Jahrzehnte verlässlichen Fre<strong>und</strong>e der westlichen Regierungen<br />
– erhoben. Der Krieg gegen das Qaddhafi-<br />
Regime f<strong>and</strong> in Washington nur zögerliche Unterstützung,<br />
die NATO verhielt sich zunächst zurückhaltend<br />
<strong>und</strong> bleibt in der Sache uneins, die Kriegführung<br />
übernahmen vor allem Frankreich <strong>und</strong> Großbritannien.<br />
Hinter den Versuchen, einen „regime change soft“<br />
einzuleiten <strong>und</strong> auf die Führungsrolle in der NATO<br />
zu verzichten, erhebt sich nicht nur die Frage nach<br />
einem möglichen Ende der zwanzig Jahre absoluter<br />
Hegemonie der USA, sondern auch die Perspektive<br />
eines möglichen globalen Paradigmenwechsels, der<br />
nicht nur die Vorherrschaft des Westens sondern auch<br />
die neoliberale Ordnung infrage stellt: Begleitet von<br />
Wirtschafts- <strong>und</strong> Finanzkrisen scheinen sich immer<br />
mehr vor allem junge Menschen weit über die arabische<br />
Welt hinaus der aus der allgemeinen Perspektivlosigkeit<br />
erwachsenden alten Ordnung zu widersetzen.<br />
Die in Tunesien <strong>und</strong> Ägypten, in Syrien <strong>und</strong> Bahrein,<br />
aber auch in Spanien, Griechenl<strong>and</strong> <strong>und</strong> Israel<br />
eingeforderte „Würde“ ist mehr als eine bürgerliche<br />
Kategorie, sie zielt auf einen gr<strong>und</strong>sätzlichen W<strong>and</strong>el<br />
der herrschenden politischen <strong>und</strong> ökonomischen Ordnung.<br />
Die arabischen Revolten haben nicht nur das<br />
griffige Paradigma von Samuel Huntington endgültig