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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />

satzung zu zermalmen (crush) <strong>und</strong> den palästinensischen<br />

Kampf für Unabhängigkeit <strong>und</strong> Staatlichkeit zu<br />

unterdrücken: ein unverhüllter Versuch Israels, den<br />

Palästinensern seine eigenen Bedingungen aufzuzwingen<br />

ohne die geringste Rücksicht auf ihre demokratischen<br />

Verfahren oder ihre rechtmäßigen Ansprüche.<br />

Als einen der beklagenswertesten Aspekte dieses<br />

Krieges nennt er die willkürliche (indiscriminate)<br />

Bombardierung durch die israelische Armee, die sich<br />

selbst “Verteidigungsstreitmacht” nenne, die zügellose<br />

Brutalität gegenüber Zivilisten <strong>und</strong> die Angriffe auf<br />

Schulen <strong>und</strong> Lebensmitteldepots der Vereinten Na<strong>tionen</strong>.<br />

Für Shlaim hat der verwerfliche Angriff (vicious<br />

assault) auf die Bevölkerung von Gaza jeglichen Anspruch<br />

Israels auf moralische Überlegenheit unwiderruflich<br />

erschüttert.<br />

Der Tod <strong>und</strong> die Zerstörung, die Israel der unschuldigen<br />

Bevölkerung Gazas zugefügt habe, führt auch<br />

Shlaim zu der Frage, wie ein Volk, das Opfer unbeschreiblicher<br />

Gefühllosigkeit geworden sei, zum<br />

grausamen Folterer eines <strong>and</strong>eren Volkes werden<br />

könne? Eine schmerzhafte Frage, auf die er keine befriedigende<br />

Antwort habe, so bekennt er. Gleichwohl<br />

lehnt er es ab, die Hoffnung aufzugeben, auch wenn<br />

derzeit Israelis <strong>und</strong> Palästinenser in einem schrecklichen<br />

Totentanz eingesperrt seien. Auf längere Sicht,<br />

so meint Shlaim, mögen die Israelis den Irrtum ihres<br />

Kurses einsehen. Der Historiker tröstet sich mit der<br />

historischen Einsicht, dass Na<strong>tionen</strong> ebenso wie Individuen<br />

vernünftig h<strong>and</strong>eln können – wenn alle <strong>and</strong>eren<br />

Möglichkeiten ausgeschöpft sind (S. XIVf.). Nach<br />

der Lektüre dieses B<strong>and</strong>es fällt es freilich nicht leicht,<br />

sich diesem Optimismus anzuschließen.<br />

Um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass Israel<br />

ein Schurkenstaat ohne Anspruch auf moralische<br />

Überlegenheit ist, hat Shlaim offenbar viele Jahre benötigt.<br />

Hatte er doch in seiner Bewertung der Balfour-<br />

Erklärung von 1917, die zur Gr<strong>und</strong>lage für die Gründung<br />

des Staates Israel werden sollte, dem britischen<br />

Hochkommissar in Palästina, John Chancellor, zugestimmt,<br />

der schon kurz nach seiner Amtsübernahme<br />

im Dezember 1928 die Erklärung einen gewaltigen<br />

Missgriff genannt hatte, unfair gegenüber den Arabern<br />

<strong>und</strong> den Interessen des Britischen Reiches abträglich.<br />

Chancellor habe Britannien von der Erklärung<br />

freimachen (extricate) <strong>und</strong> dem Zionismus einen<br />

Schlag versetzen wollen (to deal a blow to Zionism).<br />

In einem Memor<strong>and</strong>um von 1933 beschrieb er die Politik,<br />

die nationale Heimstätte für die Juden in Palästina<br />

zu unterstützen, als irregeleitet, ungerecht <strong>und</strong> unmöglich<br />

auszuführen. Die Juden bezeichnete er als<br />

emotionale Leute: Mit ihnen umzugehen, sei schwierig,<br />

da sie rücksichtslos gegenüber den Rechten <strong>und</strong><br />

Empfindungen <strong>and</strong>erer seien, ihre eigenen Ansprüche<br />

jedoch energisch verfolgten. “Selbst als eine Minderheit<br />

der Bevölkerung Palästinas nehmen die Juden<br />

gegenüber den Arabern eine Haltung arroganter<br />

Überheblichkeit ein, die ihnen von den Arabern mit<br />

ihren Tradi<strong>tionen</strong> an Höflichkeit <strong>und</strong> guten Manieren<br />

sehr verübelt wird.” (S. 17).<br />

Der höchstrangige britische Offizier im Nahen Osten,<br />

Feldmarschall Henry Wilson, hatte schon in den<br />

frühen 20er Jahren bemerkt, Palästina sei kein strategischer<br />

Posten (strategic asset), <strong>und</strong> wiederholt erklärt,<br />

die Briten hätten in Palästina nichts verloren (no<br />

business), <strong>und</strong> je schneller sie das L<strong>and</strong> verließen,<br />

desto besser. Er verglich die Probleme Palästinas mit<br />

denen Irl<strong>and</strong>s: zwei Völker in einem kleinen L<strong>and</strong>, die<br />

sich hassen “wie die Hölle” – Beobachtungen, die an<br />

Aktualität kaum verloren haben. Wiederholt verlangte<br />

er, Palästina, das er Judenl<strong>and</strong> (Jewl<strong>and</strong>) nannte, solle<br />

aufgegeben werden. Diese Logik sei nach der Unabhängigkeit<br />

Indiens unwiderstehlich geworden,<br />

schreibt Shlaim: Wenn Indien der “Juwel in der Krone”<br />

des Britischen Reiches war, so war Palästina<br />

kaum mehr als ein Windröschen im Knopfloch am<br />

Rock des Königs (S. 20).<br />

Als das M<strong>and</strong>at Palestine sich seinem “unrühmlichen<br />

Ende” näherte, fühlten sich beide Seiten von den<br />

Briten im Stich gelassen <strong>und</strong> warfen ihnen Doppelzüngigkeit<br />

<strong>und</strong> Verrat vor, schreibt Shlaim. Die Art<br />

<strong>und</strong> Weise, wie das M<strong>and</strong>at endete, war der<br />

schlimmste Makel in der Geschichte Britanniens als<br />

vom Völkerb<strong>und</strong> eingesetzte M<strong>and</strong>atsmacht. “Britannien<br />

verließ Palästina ohne ordentliche Übertragung<br />

der Macht auf eine legitime Regierung.” Die Auswirkungen<br />

der Balfour-Erklärung blieben nicht beschränkt<br />

auf Palästina, Zorn auf Britannien habe alle<br />

Schichten der Gesellschaft in der arabischen Welt erfasst,<br />

von den intellektuellen Eliten bis zu den Massen<br />

(S. 21). Shlaim nennt die Balfour-Erklärung die Erbsünde,<br />

ein Widerspruch in sich selbst: Die nationale<br />

Heimstätte, die sie den Juden versprochen habe, sei<br />

niemals klar definiert worden, einen Präzedenzfall im<br />

Völkerrecht gebe es nicht. 90 Prozent der Bevölkerung<br />

als die nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina<br />

zu bezeichnen, nennt er arrogant, abschätzig,<br />

wenn nicht rassistisch; die “schlimmste Form imperialer<br />

Heuchelei”, die besage, dass es ein Gesetz für<br />

die Juden gebe <strong>und</strong> ein <strong>and</strong>eres für alle <strong>and</strong>eren: mit<br />

einem “düsteren Anfang” <strong>und</strong> mit einzigartig schlimmer<br />

Vorbedeutung war die britische Herrschaft in Palästina<br />

vorherbestimmt zu scheitern “wie in einer<br />

griechischen Tragödie”. Doch es war nicht nur ein politisches<br />

Versagen, sondern auch ein ungeheures (egregious)<br />

moralisches. “Britannien hatte keine moralische<br />

Berechtigung, einer winzigen jüdischen Minderheit<br />

in einem vorwiegend arabischen L<strong>and</strong> eine nationale<br />

Heimstätte zu versprechen. Es tat dies nicht aus<br />

selbstlosen, sondern aus eigennützigen <strong>und</strong> falsch geleiteten<br />

Gründen” (S. 23).<br />

Shlaim wehrt sich in der Einleitung gegen die offenbar<br />

gerade nach seinem Beitrag über die Balfour-<br />

Erklärung – erstveröffentlicht 2005 in einem Sammelb<strong>and</strong><br />

seines Oxford-Kollegen William Roger<br />

Lewis – lautgewordene Kritik. Er glaube, die Gründung<br />

des Staates Israel habe eine schreckliche Ungerechtigkeit<br />

für die Palästinenser mit sich gebracht (involved),<br />

er akzeptiere jedoch völlig die Rechtmäßigkeit<br />

des Staates Israel in den Grenzen von 1967. Seinen<br />

Kritikern, die behaupteten, beide St<strong>and</strong>punkte<br />

stünden im Widerspruch zuein<strong>and</strong>er, ein Staat gegründet<br />

auf Unrecht könne nicht rechtmäßig (legitimate)<br />

sein, gesteht er zu, die Palästinenser hätten Ent-<br />

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