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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />

schen den Zeilen erfährt man, dass die Frauen auch<br />

im Entwicklungsprojekt selbstbewusst ihre Vorstellungen<br />

<strong>und</strong> Forderungen einbringen, wie diese konkret<br />

aussehen, erfährt man jedoch leider nicht. Bei aller<br />

gebotenen Diskretion hätte man hier doch etwas mehr<br />

erwartet, auch über die Nachbarschafts- <strong>und</strong> Viertelorganisation.<br />

Diese wird auch im Kapitel 7 über die Stadtgemeinschaft<br />

<strong>und</strong> soziale Gliederung nicht ganz deutlich. Dafür<br />

aber schildert Leiermann dort in kurzen Abrissen<br />

allgemeine Sitten <strong>und</strong> Bräuche wie religiöse Gebote,<br />

Moralbegriffe, Gästeempfang <strong>und</strong> Geselligkeit,<br />

Hochzeiten, Sport. Er schildert den Tagesablauf (der<br />

Männer) <strong>und</strong> den rituellen Jahreslauf in Shibam. Diese<br />

impressionistische Darstellung des Stadtlebens<br />

schließt er später im letzten Kapitel „Kleinstadtskizzen“<br />

mit einer Schilderung seiner ganz persönlichen<br />

Eindrücke von seiner Arbeit <strong>und</strong> seinem Leben in der<br />

Stadt ab.<br />

Die folgenden Kapitel befassen sich mit der Oasenkultur<br />

im Wadi Hadhramaut, mit Bewässerungsanlagen<br />

<strong>und</strong> Wachtürmen. Kapitel 9 beh<strong>and</strong>elt die Moscheen<br />

in <strong>und</strong> um Shibam (leider sind die Pläne nicht<br />

durchgängig mit Nordpfeil <strong>und</strong> Maßstab versehen),<br />

die einen sehr eigenständigen Stil aufweisen, jedoch<br />

auch durch tief in die Substanz eingreifenden Umbau<br />

<strong>und</strong> sogar Abriss bedroht sind.<br />

Im Kapitel 11 „Der Entwicklungsfall“, erläutert<br />

Leiermann das Stadtentwicklungsprojekt der GTZ,<br />

das die Altstadt von Shibam nicht nur als historische<br />

Kulisse, sondern als lebendigen Mikrokosmos seiner<br />

Bewohner betrachtet. Shibam ist heute eine verarmte<br />

ländliche Kleinstadt mit nur geringen wirtschaftlichen<br />

Ressourcen, die es den Einwohnern erschweren, trotz<br />

hoher Identifikation die Bürde des Erhaltes eines<br />

Weltkulturerbes zu tragen. Die eindrückliche Schilderung<br />

der Flutkatastrophe von 2008 zeigt überdies die<br />

Verletzlichkeit der Stadt <strong>und</strong> des komplexen Ökosystems<br />

im Wadi Hadhramaut durch klimatische Bedingungen<br />

<strong>und</strong> die dringend notwendige Sensibilisierung<br />

der Behörden <strong>und</strong> Bewohner für deren Schutz.<br />

Es ist eine lobenswerte Besonderheit des Buches,<br />

dass der Autor seinen Lesern über die f<strong>und</strong>ierte Darstellung<br />

der Architektur hinaus auch das Leben der<br />

Bewohner Shibams nahebringen möchte. Manche<br />

Einschätzungen Leiermanns, etwa über die lokale<br />

Ausprägung des sunnitischen Islams, manche Rituale<br />

oder den F<strong>und</strong>amentalismus, erscheinen jedoch etwas<br />

platt <strong>und</strong> wenig f<strong>und</strong>iert. Ethnologisches <strong>und</strong> islamwissenschaftliches<br />

Hintergr<strong>und</strong>wissen wären wohl<br />

hilfreich gewesen. Dieses Fehlen f<strong>und</strong>ierter wissenschaftlicher<br />

Belege zur Einbettung der eigenen Beobachtungen<br />

<strong>und</strong> Überlegungen macht sich auch in<br />

<strong>and</strong>eren Kapiteln, wie dem geschichtlichen Abriss,<br />

bemerkbar. Der Leser sollte daher stets im Kopf behalten,<br />

dass dem Autor in Shibam die wissenschaftliche<br />

Literatur größtenteils nicht zugänglich war, wie<br />

der Herausgeber dankenswerter Weise in seinem<br />

Vorwort vermerkt.<br />

Leiermanns Plädoyer <strong>und</strong> Engagement für ein umfassendes<br />

Entwicklungsprojekt, das die kulturellen<br />

Aspekte einbezieht (S. 253), ist nicht hoch genug zu<br />

loben. Die oben angemerkten „Schwächen“ des B<strong>and</strong>es<br />

ergeben sich aus der Einzelstellung des Autors in<br />

dem Projekt, dem es nicht zugemutet werden kann,<br />

neben seiner Arbeit als Architekt auch alle übrigen<br />

Aspekte der Stadtkultur wissenschaftlich zu durchdringen.<br />

Vielmehr zeigt die Publikation wieder einmal,<br />

wie wichtig in solchen Projekten die interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit zwischen Architekten, Stadtplanern<br />

<strong>und</strong> Ethnologen, Islamwissenschaftlern u.a.<br />

wäre. Gerade der Aspekt der Identität der Bewohner<br />

<strong>und</strong> ihre sehr eigenständige Stadtkultur könnte durch<br />

Einbeziehen ethnologischer Ansätze <strong>und</strong> Methoden<br />

noch besser erfasst <strong>und</strong> nachhaltiger zur Motivierung<br />

der Bewohner im Hinblick auf den Denkmalschutz<br />

eingesetzt werden.<br />

Insgesamt gesehen ist der B<strong>and</strong> eine eigenwillige<br />

Mischung aus wissenschaftlicher Darstellung, persönlichem<br />

Erfahrungsbericht <strong>und</strong> Bildb<strong>and</strong>. Er spiegelt<br />

die allgemeine Literaturlage zum Hadhramaut: Man<br />

ist dankbar, dass ein Anfang gemacht ist <strong>und</strong> hofft,<br />

dass auf dieser Basis weitere Forschung stattfindet.<br />

Das Buch zeigt Möglichkeiten <strong>und</strong> Ansatzpunkte dafür<br />

auf <strong>und</strong> ist somit als Anregung sehr zu empfehlen.<br />

Ulrike Stohrer, Frankfurt am Main<br />

� � �<br />

Ourghi, Mariella (2010): Muslimische Posi<strong>tionen</strong><br />

zur Berechtigung von Gewalt. Einzelstimmen, Revisionen,<br />

Kontroversen. – Ergon: Würzburg, 190 S.<br />

Bereits ein kurzer Blick auf die aktuellen Verlagsangebote<br />

zeigen, dass Veröffentlichungen selbsternannter<br />

Experten, die einem verunsicherten Publikum das<br />

Verhältnis zwischen Islam <strong>und</strong> Terrorismus, Gewalt<br />

<strong>und</strong> Märtyrergedanken erläutern wollen, derzeit<br />

Hochkonjunktur haben. Differenzierte, wissenschaftliche<br />

Untersuchungen wie die von Mariella Ourghi<br />

haben es dagegen schwer, in der Öffentlichkeit Beachtung<br />

zu finden, da sie sich in erster Linie an ein<br />

Fachpublikum richten.<br />

Ourghis Veröffentlichung ist aus dem Teilprojekt<br />

„Islamische Kontroversen über die Berechtigung von<br />

Gewalt“ hervorgegangen, welches Teil des vom<br />

BMBF geförderten Verb<strong>und</strong>projekts „Mobilisierung<br />

von Gewalt in Europa“ war. Im Anschluss an einen<br />

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