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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />

sische Organisa<strong>tionen</strong> der Ablehnungsfront unterstütze<br />

<strong>und</strong> öffentlich antisemitische Ansichten äußere. Im<br />

darauffolgenden Abschnitt werden Straw seine Äußerungen<br />

am Vorabend seiner Reise nach Iran im September<br />

2001 verübelt: Er habe Jerusalem in Wut versetzt<br />

mit dem Argument, einer der Faktoren, der Terrorismus<br />

erzeuge, sei der Zorn vieler Menschen in der<br />

Region infolge der “Ereignisse” in Palästina im Laufe<br />

der Jahre. Ein geplantes Treffen mit Ministerpräsident<br />

Scharon sei daraufhin abgesagt worden (S. 294).<br />

Da Britannien gelegentlich dem europäischen Konsens<br />

nahe erscheine, bleibe die britische Beteiligung<br />

am diplomatischen Prozess vom israelischen St<strong>and</strong>punkt<br />

aus unwillkommen. Blairs persönliche Sympathie<br />

für Israel werde als ernsthaft akzeptiert, ein gewisser<br />

Mangel an Klarheit herrsche jedoch vor. Blair<br />

behaupte seine Position, so wird ihm zugest<strong>and</strong>en, um<br />

Verbindungen nach allen Seiten aufrecht zu erhalten.<br />

Andererseits lasse sich jedoch argumentieren, das<br />

Bemühen, allen Parteien entgegenzukommen, <strong>und</strong> der<br />

Mangel an der notwendigen “Muskelkraft”, auf irgendetwas<br />

zu bestehen, setze den Anstrengungen der britischen<br />

Diplomatie dem Risiko aus, schließlich in Unsichtbarkeit<br />

<strong>und</strong> Irrelevanz (unvisibility <strong>and</strong> irrelevance)<br />

zu versinken. Skeptisch äußern sich die Verfasser<br />

auch über die schnell schrumpfende militärische Kapazität<br />

Britanniens, die es dem L<strong>and</strong> zunehmend<br />

schwerer mache, eine unabhängige strategische Rolle<br />

an der Seite der Vereinigten Staaten zu spielen. Ihr<br />

Resümee: Die <strong>and</strong>auernde Bedeutung von Britanniens<br />

“Brückenfunktion” zwischen Amerika <strong>und</strong> Europa im<br />

Nahen Osten <strong>und</strong> seine Fähigkeit, bedeutende politische<br />

Ergebnisse zu erbringen, werde eine offene Frage<br />

bleiben (S. 295-297).<br />

Nach diesen kritischen Äußerungen selbst über den<br />

als Israel-Sympathisanten ausgemachten Premierminister<br />

Blair, der seit seinem Rücktritt seinem Ruf wiederholt<br />

gerecht geworden ist, überrascht die Schelte<br />

der Muslime in Britannien im Schlusskapitel nicht:<br />

British Muslims <strong>and</strong> UK Foreign Policy von David<br />

Rich, stellvertretender Kommunikationsdirektor des<br />

Community Security Trust, das der jüdischen Gemeinde<br />

in Britannien “Sicherheits- <strong>und</strong> Verteidigungsdienste”<br />

bietet <strong>und</strong> die Regierung <strong>und</strong> die Polizei<br />

in Fragen des Antisemitismus <strong>und</strong> des Terrorismus<br />

“berät” (S. 322-339). Das Anwachsen des islamistischen<br />

Einflusses unter den britischen Muslimen, so<br />

beklagt der Verfasser, sei unbeabsichtigt durch die<br />

Regierungspolitik der späten 80er <strong>und</strong> frühen 90er<br />

Jahre gefördert worden, etikettiert als “Londonistan”,<br />

die islamistische Radikale aus der gesamten muslimischen<br />

Welt erlaubt habe, sich in Britannien niederzulassen.<br />

London sei bald zu einem Zentrum für Propag<strong>and</strong>a,<br />

Spendensammeln <strong>und</strong> logistischer Unterstützung<br />

des islamistischen Terrorismus im Nahen Osten<br />

<strong>und</strong> darüber hinaus geworden, eine Situation, die Britanniens<br />

Beziehungen zu einigen, namentlich nicht<br />

genannten Ländern der Region belastet habe. Die<br />

H<strong>and</strong>lungsfreiheit <strong>und</strong> die Nähe zu so vielen Gesinnungsgenossen<br />

bedeutete, dass Britannien, im besonderen<br />

London, zu einem Hauptquartier im Exil für<br />

viele nahöstliche Jihad-Organisa<strong>tionen</strong> geworden sei<br />

(S. 235).<br />

Das Desinteresse muslimischer Organisa<strong>tionen</strong> <strong>und</strong><br />

Aktivisten an der palästinensischen “Sache” habe<br />

sich, so bemerkt der Verfasser erst mit dem Ausbruch<br />

der Ersten Intifada im Dezember 1987 <strong>und</strong> einem Besuch<br />

einer Delegation britischer Muslime in Jerusalem<br />

im März 1998 geändert: Die Ergebnisse dieses<br />

Besuches wurden in einem Büchlein, “Blood in the<br />

Holy L<strong>and</strong>”, veröffentlicht, das nach Richs Bef<strong>und</strong><br />

kurz <strong>und</strong> bündig (succinct) die nach wie vor gültige<br />

Position der muslimischen Gemeinschaft darlegte: Israel,<br />

ein rassistischer Apartheid-Staat, der kein Existenzrecht<br />

habe; die Besatzung, die 1948, nicht erst<br />

1967 begonnen habe; <strong>und</strong> der Westen, der Israel unterstütze<br />

<strong>und</strong> daher der Komplize seiner Verbrechen<br />

sei (S. 329).<br />

Die Bombenanschläge vom 7. Juli 2005 in London,<br />

ausgeführt von britischen Muslimen, kamen für Rich<br />

nicht völlig überraschend. Die extremistische Atmosphäre,<br />

die Propag<strong>and</strong>a <strong>und</strong> das Beispiel der ausländischen<br />

“Jihadisten” durch ihre Anwesenheit hätten<br />

“unvermeidlich” zur Radikalisierung junger britischer<br />

Muslime geführt, bis sie zu Selbstmordbombern geworden<br />

seien – dass die unter den Muslimen verbreitete<br />

Wut über das anhaltende militärisch-politische<br />

Vorgehen Britanniens in verschiedenen Teilen der<br />

muslimischen Welt die Bahn geebnet haben könnte zu<br />

den Anschlägen einer winzigen Minderheit, vermag<br />

der Verfasser, der für Sicherheitsfragen in seiner Gemeinschaft<br />

zuständig ist, sich offensichtlich nicht vorzustellen.<br />

Statt dessen begnügt er sich damit, Blair mit<br />

seiner “Ideologie des Bösen” (evil ideology) zu Worte<br />

kommen zu lassen, die zu bekämpfen sei: Deren Forderungen,<br />

so Blair beim Labour-Parteitag am 16. Juli<br />

2005, postulierten die Auslöschung Israels, den Abzug<br />

aller Westler aus muslimischen Ländern, ungeachtet<br />

der Wünsche der Einwohner <strong>und</strong> Regierungen;<br />

die Errichtung von Taliban-Staaten; die Einführung<br />

des islamischen Gesetzes in der arabischen Welt auf<br />

dem Weg zu einem Kalifat aller muslimischen Na<strong>tionen</strong>.<br />

In seinem Resümee folgt Rich dem Rat des in der<br />

Londoner Westminster-Universität tätigen Wissenschaftlers<br />

sudanesischer Herkunft, Abdelwahhab El-<br />

Affendi, der im Mai 2005 argumentierte, die Überbetonung<br />

der auswärtigen Politik sei ein Hindernis für<br />

die Integration der Muslime <strong>und</strong> ihr Vorankommen in<br />

der britischen Gesellschaft gewesen, kurz gesagt, die<br />

britische muslimische Gemeinschaft solle mehr britisch<br />

sein <strong>und</strong> sich mehr um das kümmern, was<br />

Brown, Blair <strong>und</strong> <strong>and</strong>ere in Britannien <strong>und</strong> für Britannien<br />

tun anstelle dessen, was sie im Namen Britanniens<br />

im Ausl<strong>and</strong> tun. Nur wenn britische muslimische<br />

Führer ihre Rolle als britische Bürger ernster nähmen,<br />

könne man ihrer politischen Reife sicher sein. “Und<br />

bis dahin scheint noch ein langer Weg zu sein.” (S.<br />

336).<br />

Wolfgang Köhler, London<br />

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