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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />

out) auf die britischen Beziehungen zu den Staaten<br />

<strong>und</strong> Völkern des Nahen Ostens (S. 107-134), das<br />

Kernstück der Studie, bringt wenig Neues für diejenigen,<br />

die diese Zeit in Medienberichten oder an Ort<br />

<strong>und</strong> Stelle verfolgt haben. Hollis stützt sich vorwiegend<br />

auf eine Auswahl veröffentlichter Quellen. Die<br />

Anhörungen der offiziellen Irak-Untersuchungskommission<br />

unter Lord Chilcot hatten kaum begonnen,<br />

als das Buch in Druck ging. Durch ihre Kontakte,<br />

die ihre berufliche Stellung mit sich brachten, einige<br />

weniger bekannte Einzelheiten <strong>und</strong> Hintergründe zu<br />

Tage zu fördern, darauf hat sie verzichtet. Ihr kritischer<br />

Überblick über die Ereignisse nach den Anschlägen<br />

vom 11. September 2001 aus britischer Perspektive<br />

sowie ihre Wertungen <strong>und</strong> Schlussfolgerungen<br />

aus dem katastrophalen Scheitern der Nahostpolitik<br />

von Neu-Labour machen ihre Studie gleichwohl zu<br />

einer anregenden Lektüre.<br />

Nicht eingeschlossen ist die britische Verwicklung<br />

in Afghanistan, ebenfalls weniger Seite an Seite mit<br />

den Vereinigten Staaten denn als deren Juniorpartner,<br />

obwohl Afghanistan <strong>und</strong> selbst Pakistan längst politisch<br />

als Best<strong>and</strong>teile des “erweiterten Nahen Ostens”<br />

beschrieben werden <strong>und</strong> der grenzüberschreitende<br />

Krieg in beiden Ländern sich als eine Erweiterung<br />

(extension) des Irak-Krieges verstehen lässt <strong>und</strong> für<br />

Britannien ebenso wenig zu “gewinnen” ist wie für<br />

die Vereinigten Staaten – wie auch immer ein “Sieg”<br />

zu definieren wäre. In Kommentaren wird Afghanistan<br />

als “Grabstätte fremder Imperien” (graveyard of<br />

empires) seit Alex<strong>and</strong>er dem Großen beschrieben <strong>und</strong><br />

das Wortspiel Afghanistan = Chaos-tan angeführt.<br />

Ebenso wie die Vereinigten Staaten hat Britannien<br />

sich dort wie zuvor im Irak in eine Lage hineinmanövriert,<br />

aus der beide Staaten – <strong>und</strong> in ihrem Gefolge<br />

– Deutschl<strong>and</strong>, so ließe sich ergänzen – trotz teils beschönigender,<br />

teils kräftiger Rhetorik als “Sieger”<br />

nicht hervorgehen können.<br />

Trotz aller menschlichen Verluste <strong>und</strong> der gewaltigen<br />

Kosten für den Staatshaushalt, bis Ende Juni 2010<br />

mehr als 11,1 Milliarden Pf<strong>und</strong>, rechtfertigt der neue<br />

Premierminister David Cameron unverdrossen die britische<br />

Präsenz in Afghanistan mit Erklärungen, die<br />

wie ein Echo der Rechtfertigungen Blairs für die britische<br />

Beteiligung an Amerikas Krieg im Irak klingen:<br />

“Wir sind dort, weil die Afghanen noch nicht bereit<br />

sind, ihr L<strong>and</strong> zu sichern <strong>und</strong> die Terroristen <strong>und</strong> ihre<br />

Lager von ihrem L<strong>and</strong> fernzuhalten”, sagte er Ende<br />

Juni 2010 <strong>und</strong> betonte die Bedeutung der britischen<br />

Präsenz für sein eigenes L<strong>and</strong>: “Wir zahlen einen hohen<br />

Preis, um unser L<strong>and</strong> sicher zu halten <strong>und</strong> die<br />

Welt zu einem sichereren Platz zu machen.” (The Guardian,<br />

22.6.2010).<br />

Die Frage, was Britannien dazu gebracht hat, sich<br />

der amerikanischen Invasion im Irak anzuschließen,<br />

die weiterhin die Gemüter erregt, versucht auch Hollis<br />

zu beantworten. Weder blinde Ergebenheit zu den –<br />

weniger in Washington als in London behaupteten –<br />

“besonderen Beziehungen” zwischen beiden Ländern<br />

noch einfache Berechnungen über die Ölversorgung<br />

können ihr als Erklärung dienen. Blair sei nicht “hineingeplatzt”<br />

(bounced in), so hält sie ihm zugute; die<br />

180<br />

Entscheidung, Britannien zum Partner dieses Unternehmens<br />

zu machen, sei seine eigene gewesen mit unterschiedlichen<br />

“Graden” (degree) der Unterstützung<br />

seines inneren Kreises <strong>und</strong> der meisten Angehörigen<br />

des Kabinetts. Entscheidend für ihn war die Fortsetzung<br />

seiner ‘interventionistischen Einstellung’ (interventionist<br />

approach) gegenüber der Außenpolitik von<br />

Anfang an. Selbst als klar wurde, dass Saddam<br />

Hussein keine Massenvernichtungswaffen gestapelt<br />

hatte, die entscheidende Rechtfertigung des Krieges,<br />

wiederholte Blair weiterhin seinen St<strong>and</strong>punkt, dass<br />

die Invasion die “rechte Sache zu tun” (the right thing<br />

to do) gewesen sei. Hollis hält ihm zwei Hauptfehler<br />

vor: seine Heimlichtuerei über die Informa<strong>tionen</strong> oder<br />

ihren Mangel, auf denen er sein Urteil gründete, <strong>und</strong><br />

seine geringe Beachtung der Lage im Inneren sowohl<br />

des Irak wie in der Region, die zur Planung des ‘Tages<br />

danach’, nach dem Regimewechsel in Bagdad,<br />

hätte beitragen sollen (S. 86).<br />

Dass zudem die britische Beteiligung am Krieg illegal<br />

war, wird auch in dieser Studie bestätigt. Erst am<br />

Vorabend der Invasion änderte der Generalstaatsanwalt,<br />

Lord Goldsmith, seinen St<strong>and</strong>punkt <strong>und</strong> erklärte,<br />

eine weitere Resolution des UNO-Sicherheitsrates sei<br />

doch nicht erforderlich. Die Rechtmäßigkeit des Krieges<br />

ließ sich wenige Tage vor seinem Ausbruch der<br />

Chef des Verteidigungsstabes, Admiral Boyce, vom<br />

Premierminister versichern. Über die Gründe, die<br />

Lord Goldsmith zu seinem Sinnesw<strong>and</strong>el veranlassten,<br />

ist jedoch leider nichts Neues zu erfahren. Hat ihn<br />

jem<strong>and</strong> zu seinem Meinungsumschwung gedrängt,<br />

etwa aus 10 Downing Street? Die stellvertretende Leiterin<br />

der Rechtsabteilung des Außenministeriums,<br />

Elizabeth Windhurst, sah die britische Kriegsbeteiligung<br />

ohne weitere UNO-Resolution gleichwohl als<br />

gesetzeswidrig an <strong>und</strong> trat von ihrem Amt zurück –<br />

ein Echo auf Rücktritte hoher Beamter während des<br />

Suez-Krieges von 1956. Politisch schwerwiegender<br />

war der Rücktritt des ehemaligen Außenministers Robin<br />

Cook als Sprecher des Unterhauses am selben<br />

Tag.<br />

Ungeachtet der Opposition gelang es Blair, sich bei<br />

der Abstimmung im Unterhaus der Mehrheit der Abgeordneten<br />

für eine Kriegsbeteiligung zu versichern<br />

(S. 103-106). Auch die etwa zwei Millionen Demonstranten,<br />

die am 15. Februar 2003 durch die Straßen<br />

von London <strong>und</strong> Glasgow zogen, verfehlten ihren<br />

Einfluss auf die Entscheidungen von Regierung <strong>und</strong><br />

Parlament. Ebenso eine Reihe von Persönlichkeiten<br />

des öffentlichen Lebens wie das Oberhaupt der Kirche<br />

von Engl<strong>and</strong>, der Erzbischof von Canterbury, der<br />

ebenso wie die Katholische Kirche die Rechtfertigung<br />

des Krieges aus moralischen Gründen ablehnte (S.<br />

100).<br />

Kritik war auch aus der Reihe der “Arabisten” des<br />

Außenministeriums zu vernehmen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Nahosterfahrungen auch als “Kamelkorps” bekannt<br />

sind, eine Anspielung auf die im Ersten Weltkrieg auf<br />

der Sinai-Halbinsel <strong>und</strong> in Palästina eingesetzte Sondereinheit.<br />

52 pensionierte ranghohe Diplomaten kritisierten<br />

im April 2004 in einem offenen Brief an den<br />

Premierminister seine Nahostpolitik, die sie als ge-

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