4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations
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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />
Dazu merkt Hodaie in einer Fußnote an, ähnliche<br />
Vorstellungen seien durch die Rezeption von Tausend<strong>und</strong>eine<br />
Nacht in Europa verbreitet, die orientalischen<br />
Geschichten erhöben im Unterschied zu Mays<br />
Romanen jedoch den Anspruch auf Authenzität (S.<br />
167f.). Sind der Verfasserin die Frauengestalten in<br />
Tausend<strong>und</strong>eine Nacht entgangen, die zwar keine<br />
Rolle im öffentlichen Leben spielen, gleichwohl als<br />
eigenständige Persönlichkeiten, nicht nur als lüsterne<br />
Odalisken im Harem, wie sie auf Bildern der Orient-<br />
Maler zu sehen sind, oder als „Dummchen am Herd“<br />
geschildert werden, nicht nur Schahrazad. An <strong>and</strong>erer<br />
Stelle preist die Verfasserin die Liebe als die große<br />
Faszination, das lebensbewegende Motiv, wie es in<br />
Tausend<strong>und</strong>eine Nacht im Gegensatz zum Orient-<br />
Zyklus Mays dargestellt werde, die dort “eher ein<br />
mangelhaftes, lähmendes Gefühl” sei (S. 173).<br />
Unter der Kapitelüberschrift “Der Islam als ein Produkt<br />
der menschlichen Phantasie” beschreibt Hodaie<br />
die antiislamische Haltung, wie sie in Mays Werken<br />
zum Ausdruck komme. Auch das noch! Als ob das<br />
‘orientalistische’ Sündenregister Mays nicht schon<br />
lange genug wäre: westliche Überheblichkeit <strong>und</strong> Geringschätzung<br />
gegenüber den Orientalen, Kolonialismus,<br />
Rassismus … Allah, der Gott der Muslime, sei<br />
für Kara Ben Nemsi mit dem Gott der Christen identisch,<br />
hat die Verfasserin bemerkt; er werde nicht müde,<br />
diese Auffassung zu betonen <strong>und</strong> zu wiederholen.<br />
Großartig! Auf den ersten Blick eine Anerkennung<br />
des Islam als eine dem Christentum gleichwertige Religion,<br />
beim genaueren Hinsehen ‘implizieren’ jedoch<br />
alle religiösen Aussagen des Orient-Zyklus eine Degradierung<br />
des Islam zu einer misslungenen Nachahmung<br />
des Christentums.<br />
Dieser Nachahmung fehle, so ist zu lesen, die Spiritualität<br />
<strong>und</strong> Geistlichkeit des Christentums, denn der<br />
Islam sei nicht durch göttliche Offenbarung entst<strong>and</strong>en,<br />
sondern gehe auf Halluzina<strong>tionen</strong> <strong>und</strong> Träume<br />
Muhammads sowie auf seine Bekanntschaft mit den<br />
Glaubenswelten der Juden <strong>und</strong> Christen zurück. Die<br />
göttliche Auserwählung wird ihm abgesprochen.<br />
Folglich könne der Koran nicht das Wort Gottes enthalten.<br />
Da eben vieles aus der Bibel abgeschrieben<br />
worden sei, könne nicht alles falsch oder tadelnswert<br />
sein. May greift seit dem Mittelalter im Westen kursierende<br />
Klischeevorstellungen vom Propheten <strong>und</strong><br />
seiner Religion auf: Muhammad als Geisteskranker<br />
oder Epileptiker, der Islam als eine kriegerische <strong>und</strong><br />
gewalttätige Religion (S. 174-176).<br />
In Mays Beurteilung der ‘guten’ Orientalen fließt<br />
nach Hodaies Bef<strong>und</strong> “ganz selbstverständlich” die<br />
Erwartung ein, dass sie bereit sind, ihre eigene Kultur<br />
<strong>und</strong>, im Falle der Muslime, ihre Religion in Frage zu<br />
stellen. “Die Errungenschaften des Abendl<strong>and</strong>es <strong>und</strong><br />
des Christentums sollten ihnen als erstrebenswertes<br />
Ziel vor Augen stehen.” (S. 157). In einer Zeit, da die<br />
Bemühungen zur Verständigung mit den Menschen<br />
aus kulturell unterschiedlichen Regionen, zumal wenn<br />
sie in westlichen Ländern ansässig sind, gefördert<br />
werden, im besonderen mit den Muslimen, nicht zuletzt<br />
um des lieben Friedens willen, erscheinen die<br />
176<br />
Werke Karl Mays nach diesem Erkenntnisst<strong>and</strong> als<br />
Jugendlektüre kaum geeignet.<br />
Ebenso wie Tausend<strong>und</strong>eine Nacht <strong>und</strong> Karl Mays<br />
Orient-Zyklus versteht Hodaie die Migrantenliteratur<br />
als literarischen Niederschlag der sozialen <strong>und</strong> politischen<br />
Zustände, mit dem Unterschied freilich, dass<br />
diese Literatur gegenwärtige deutsch-orientalische<br />
Zustände widerspiegelt. Zudem ist diese Literaturgattung<br />
viel weniger bekannt als die Werke Karl Mays<br />
<strong>und</strong> die orientalische Geschichtensammlung in ihren<br />
vielen Ausgaben. Wer kennt schon die Migrantenliteratur,<br />
abgesehen von einem kleinen Interessentenkreis<br />
<strong>und</strong> den ‘Spezialisten’? Dabei mag die Lektüre<br />
gerade dieser auf Deutsch verfassten Romane das<br />
Verständnis des “Anderen” fördern, leben doch nach<br />
jahrh<strong>und</strong>ertelangen Orient-Okzident-Beziehungen<br />
erstmals Migranten aus orientalisch-muslimischen<br />
Ländern in größerer Zahl als jemals zuvor in Deutschl<strong>and</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>and</strong>eren europäischen Ländern, in die sie ihre<br />
teilweise unterschiedlichen religiösen <strong>und</strong> <strong>and</strong>ere<br />
Gebräuche mitgebracht haben. Die infolgedessen entst<strong>and</strong>enen<br />
interkulturellen Spannungen werden auch<br />
zu einer Quelle literarischen Schaffens, aus der einheimische<br />
Autoren ebenso wie solche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />
schöpfen (S. 65).<br />
Unter der programmatischen Überschrift “Ein Plädoyer<br />
für das Zusammenleben der Kulturen: die Migrantenliteratur”<br />
untersucht Hodaie drei Kategorien<br />
dieser Gattung: Werke, die das Leben der in Deutschl<strong>and</strong><br />
ansässigen orientalischen Migranten zum Thema<br />
haben <strong>und</strong> sich mit der Integration in die deutsche Gesellschaft<br />
befassen; solche, die sich mit kurzfristigen<br />
Aufenthalten eines orientalischen “Gastes” (‘Gastarbeiter’?)<br />
in Deutschl<strong>and</strong> <strong>und</strong> der dadurch entstehenden<br />
kulturellen Konfronta<strong>tionen</strong> <strong>und</strong> Missverständnisse<br />
beschäftigen; <strong>und</strong> Werke, die Aufenthalte deutscher<br />
Touristen in orientalischen Gefilden zum Gegenst<strong>and</strong><br />
haben, “wobei die ‘kurzfristige, bedingte’<br />
Anpassungsfähigkeit der Deutschen akzentuiert<br />
wird”. Die “Umgangsweisen” dieser Werke mit Vorurteilen,<br />
Klischees <strong>und</strong> “brisanten Konfliktpunkten”<br />
zwischen den Deutschen <strong>und</strong> den Orientalen ziehen<br />
die Aufmerksamkeit der Verfasserin auf sich: Nach<br />
ihrem Bef<strong>und</strong> versuchen diese Werke darzustellen,<br />
wie mangelndes oder fehlendes Wissen auf beiden<br />
Seiten zur Entstehung von Missverständnissen führt.<br />
Sie bescheinigt allen drei Gruppen den Wunsch nach<br />
einem unvoreingenommenen, unparteiischen Umgang<br />
mit dem Fremden wie mit dem Eigenen “vorangetrieben”<br />
zu werden. Voreingenommenheit, pauschalisierende<br />
Schuldzuweisung, Ersetzen der alten Klischees<br />
durch neue, ebenso realitätsferne sind, so hat sie bemerkt,<br />
auch in der Migrantenliteratur nicht auszuschließen.<br />
Allerdings seien diesmal die Deutschen “in<br />
der Schusslinie” (S. 205-207).<br />
Der Roman Nura des libanesischen Schriftstellers<br />
Jusuf Naoum (1993) bietet ihr ein treffendes Beispiel,<br />
das sich als ein Plädoyer für die “wahre” Emanzipation<br />
<strong>und</strong> Selbstverwirklichung der Frau verstehe. Als<br />
“Schauplatz” dient ihr die “Mischehe” einer “wohlintegrierten”<br />
Libanesin <strong>und</strong> eines Deutschen, in der sich<br />
„herausstelle“, dass der europäische Mann allen Kli-