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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />

reiche Gemeinschaft der Drusen, die je nach St<strong>and</strong><br />

punkt der extremen Schia zuzurechnen, oder als eigenständige<br />

Religion zu werten ist. Allein die Gruppe<br />

der Christen umfasst zwölf verschiedene Denomina<strong>tionen</strong>.<br />

Dass der konfessionelle Hintergr<strong>und</strong> für viele<br />

Libanesen einen entscheidenden Teil persönlicher<br />

Identität darstellt, dürfte unstrittig sein, ebenso wie<br />

die Tatsache, dass konfessionelle Zugehörigkeit zumeist<br />

zum bestimmenden Moment politischer Orientierung<br />

wird. Die Undurchlässigkeit konfessionell bestimmter<br />

Grenzziehung im Libanon ist unschwer auszumachen,<br />

wenn man die politische (Konfessionenproporz<br />

<strong>und</strong> streng konfessionalistische Parteienl<strong>and</strong>schaft)<br />

<strong>und</strong> die soziale Ebene (zumeist räumliche<br />

Trennung der Bevölkerung nach konfessionellem<br />

Muster, wenige konfessionelle Mischehen usw.) betrachtet<br />

(vgl. von Angern: 17f.). Diese Umstände lassen<br />

vermuten, dass auch das Verständnis von Geschichte<br />

im Libanon in hohem Maße kontextabhängig<br />

ist – <strong>und</strong> zwar vom Kontext der jeweiligen konfessionellen<br />

Gruppe.<br />

Konfession, konfessionelle Strukturen <strong>und</strong> geschichtliche<br />

Entwicklung sind bereits vielfach zum<br />

Gegenst<strong>and</strong> der Forschung über den Libanon geworden.<br />

Von Angerns Ansatz aber ist insofern neu <strong>und</strong><br />

innovativ, als er sich dem Gegenst<strong>and</strong>sbereich Konfession<br />

<strong>und</strong> Geschichte im Libanon mittels der erinnerungskulturwissenschaftlichen<br />

Analyse nähert. Der<br />

Autor will nicht einen weiteren Versuch geschichtswissenschaftlicher<br />

Analyse des Libanon, bzw. der<br />

Entwicklung seiner konfessionellen Gruppen ‚von außen‘<br />

anstellen. Er richtet seinen Blick vielmehr auf<br />

die subjektiven, individuellen geschichtlichen Topoi,<br />

die sich, so seine Annahme, konfessionell bedingt<br />

strikt unterscheiden <strong>und</strong> auf der Metaebene als kollektive<br />

Identitäten erkennbar werden. Diese kollektiven<br />

Identitäten ‚herauszupräparieren‘ <strong>und</strong> vergleichend<br />

gegenüberzustellen, hat sich von Angern zum Ziel<br />

gemacht. Zu diesem Zweck hat er insgesamt r<strong>und</strong><br />

fünfzig verschiedene Personen aus dem Kreis der verschiedenen<br />

Konfessionen des Libanon einer ausführlichen<br />

Befragung unterzogen (16 Maroniten, 7 Orthodoxe,<br />

10 Sunniten, 11 Schiiten <strong>und</strong> 10 Drusen). Innerhalb<br />

des jeweiligen konfessionellen Samples hat er<br />

sich um eine möglichst breite gesellschaftliche Streuung<br />

der Informanten bemüht.<br />

162<br />

Die Darstellung der verschiedenen Geschichtskonstrukte<br />

auf Basis der Befragungen <strong>und</strong> die darauf folgende<br />

Analyse nimmt den mit Abst<strong>and</strong> größten Teil<br />

der Arbeit ein. Dieser vorangestellt ist ein geschichtswissenschaftlicher<br />

Einführungsteil, der als<br />

‚Prüfstein‘ für die narrativen Konstrukte dienen soll.<br />

Von Angern gelingt es dank seiner feldforscherischen<br />

Anstrengungen, die in dieser Form durchaus als Pionierarbeit<br />

verst<strong>and</strong>en werden dürfen, einige sehr interessante<br />

Aspekte konfessionell bedingter libanesischer<br />

Identität herauszuarbeiten. Die befragten Maroniten<br />

hielten in der Mehrheit immer noch die Idee einer<br />

phönizischen Nachkommenschaft (<strong>und</strong> zwar<br />

durchaus auch im ethnischen Sinne) als Antithese zur<br />

arabischen Identität hoch <strong>und</strong> unterschieden sich damit<br />

diametral zur Gruppe aller Befragten Sunniten,<br />

die dem Phönizianismus für die eigene Identität keinerlei<br />

Bedeutung zumaßen. Besonders interessant ist<br />

die massive Spaltung innerhalb des sunnitischen<br />

Samples zwischen unversöhnlichen Extremisten, die<br />

einen religiös begründeten Hegemonialanspruch zu<br />

erkennen geben <strong>und</strong> den ‚Gemäßigten‘, die einen<br />

W<strong>and</strong>el vom Pan arabismus zum libanesischen Patriotismus<br />

durchgemacht <strong>und</strong> sich somit den <strong>and</strong>eren<br />

Konfessionsgruppen angenähert haben.<br />

Insgesamt h<strong>and</strong>elt es sich um eine sehr innovative<br />

<strong>und</strong> interessante Arbeit, die sich in brisantes Terrain<br />

vorwagt <strong>und</strong> durch einen klaren <strong>und</strong> prägnanten<br />

Schreibstil auffällt. Einige Wermutstropfen bleiben<br />

dennoch. So wirken einige Best<strong>and</strong>teile kollektiver<br />

Identitäten in der Analyse etwas holzschnittartig,<br />

wenn es heißt, Maroniten würden sich als ‚fleißiges<br />

Bergvolk‘, Schiiten als ‚selbstbewusst‘ <strong>und</strong> ‚vernunftorientiert‘<br />

begreifen. Problematisch ist auch,<br />

dass zahlenmäßige Verzerrungen der Samplegruppen,<br />

die eigentlich die konfessionell-demographischen Gegebenheiten<br />

des Libanon abbilden sollen, normativ<br />

begründet werden (z.B. Gleichgewicht zwischen<br />

Christen <strong>und</strong> Muslimen in den Samples, da dies dem<br />

Verständnis des libanesischen Staates entspreche<br />

usw.). Zu guter Letzt leidet die Verallgemeinerbarkeit<br />

der Erkenntnisse unter der sehr geringen Fallzahl<br />

der Befragten, wobei dem Autor zugute gehalten werden<br />

muss, dass eine qualitative Befragung größerer<br />

Samplegruppen für eine Person kaum zu bewältigen<br />

wäre.<br />

Niklas Hünseler, Mainz<br />

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Bayraktar, Hatice (2010): „Zweideutige Individuen<br />

in schlechter Absicht“. Die antisemitischen Ausschreitungen<br />

in Thrakien 1934 <strong>und</strong> ihre Hintergründe.<br />

– Schwarz: Berlin, 281S.<br />

Es ist immer wohltuend, wenn ein <strong>Dissertations</strong>projekt<br />

einerseits a) inhaltlich begrenzt, b) nicht noch ein<br />

weiterer Beitrag zu einem der teilweise über die Maßen<br />

bemühten Mainstream-Themen eines Faches ist,<br />

<strong>and</strong>ererseits das Thema, die antisemitischen Übergriffe<br />

in der kemalistischen Türkei, vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

der türkisch-israelischen Irrita<strong>tionen</strong> einen aktuellen<br />

Bezug hat <strong>und</strong> letztendlich aufgr<strong>und</strong> einer überaus

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