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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />

fast völlig aufgelöst (dismantled) hatten. Das Empire<br />

<strong>und</strong> sein Verlust bewegt, so ließe sich hinzufügen,<br />

weiterhin viele Gemüter, wie Äußerungen von Politikern<br />

durchaus nicht nur der politisch Rechten, Debatten<br />

in politischen Vereinigungen sowie eine anhaltende<br />

Flut von Kommentaren in den Medien <strong>und</strong> nicht<br />

zuletzt zahlreiche Bücher <strong>und</strong> Zeitschriftenaufsätze<br />

bezeugen, bietet doch vor allem das militärischpolitische<br />

Engagement im Irak <strong>und</strong> in Afghanistan<br />

tagtäglich Diskussionsstoff. Das Verhältnis der Kolonialisten<br />

<strong>und</strong> die Kolonisierten zu ihrer gemeinsamen<br />

Geschichte ist jedoch in unterschiedlicher Weise entwickelt:<br />

“Die Unterdrückten erinnern sich ihrer Geschichte,<br />

während der Unterdrücker vergisst”, so zitiert<br />

Hollis die Beobachtung des Oxford-Historikers<br />

Derek Hopwood über die britischen Beziehungen zum<br />

Nahen Osten (S. 49).<br />

In der Logik von Blair <strong>und</strong> ihm nahestehender Kollegen<br />

<strong>und</strong> Berater wurde das positive Selbstverständnis,<br />

gegründet auf moralische Redlichkeit, zu einer<br />

“Kraft des Guten in der Welt”, eine Vorstellung, die<br />

für Hollis schon in der Blütezeit imperialer Macht im<br />

19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert vorherrschte, als die<br />

Briten sich als fortgeschrittener <strong>und</strong> reifer als rivalisierende<br />

Mächte betrachteten <strong>und</strong> diese Eigenschaften<br />

sich in blühendem Wohlst<strong>and</strong> <strong>und</strong> der Zunahme an<br />

bürgerlichen Freiheiten manifestierten (S. 50). In den<br />

90er Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts hatte sich die Stellung<br />

Britanniens in der Welt seit den Tagen des Empire<br />

jedoch “dramatisch verändert”. Was einst die Briten<br />

<strong>and</strong>eren antaten, tat nun die Welt Britannien an.<br />

So zitiert sie den Publizisten Andrew Marr (S. 59).<br />

Blair befürwortete selbst den Einsatz von Gewalt,<br />

um die Welt zu einem “besseren Platz” zu machen.<br />

Werte <strong>und</strong> Interessen fielen für ihn zusammen, so erklärte<br />

er in seiner programmatischen Rede vom April<br />

1999 in Chicago. Falls Werte wie Freiheit, Herrschaft<br />

des Gesetzes, Menschenrechte <strong>und</strong> eine offene Gesellschaft<br />

verbreitet würden, diene dies den britischen<br />

Interessen; die Verbreitung “unserer Werte” mache<br />

“uns” sicherer (S. 54). Infolge seines präsidentiellen<br />

Regierungsstils, ‘wie ein Weißes Haus, doch ohne ein<br />

Weißes Haus zu haben’, wurden auch außenpolitische<br />

Entscheidungen meistens in der Downing Street<br />

Nummer 10 getroffen mit nur wenigen Konsulta<strong>tionen</strong><br />

im Kabinett <strong>und</strong> im Regierungsviertel Whitehall.<br />

Neu-Labour war zur Macht gekommen, ohne eine<br />

“kollektive Erinnerung” (collective memory) an den<br />

Nahen Osten zu haben. Blair habe, so schreibt Hollis,<br />

nur über geringe Kenntnisse der historischen Rolle<br />

Britanniens in der Region verfügt <strong>und</strong> sich auch nicht<br />

viel darum gekümmert (S. 64). Sein persönlicher<br />

Nahost-Berater <strong>und</strong> Repräsentant beim Friedensprozess,<br />

Michael, seit 1997 Lord Levy, den Blair 1994<br />

kennengelernt hatte, der sein Tennispartner wurde <strong>und</strong><br />

seinen Fond zur Finanzierung seiner Wahlkampagne<br />

leitete, war bestens geeignet, dieses Wissensdefizit<br />

auszufüllen. Seine Rolle sei informell <strong>und</strong> niemals<br />

sehr klar gewesen, schreibt Hollis; er war Spendenbeschaffer<br />

(f<strong>und</strong> raiser) nicht nur für die britische, sondern<br />

auch für die israelische Labour-Partei, der er, so<br />

wurde vermutet, einen “nützlichen Zugang” zu poli-<br />

tisch wichtigen Kreisen verschaffte. Levys Ernennung<br />

erfolgte ohne öffentliche Bekanntgabe, wurde einer<br />

breiteren Öffentlichkeit erst bekannt, als er 1999/2000<br />

eine Reihe nahöstlicher Hauptstädte besuchte. Hollis<br />

misst seinem Beitrag zu den diplomatischen Bemühungen<br />

über die Amtszeit des israelischen Ministerpräsidenten<br />

Ehud Barak (1999/2000) hinaus nur geringe<br />

Bedeutung bei (S. 59, 79).<br />

Finanzielle Aspekte spielten neben Sicherheitserwägungen<br />

eine wichtige Rolle auch bei dem Einfluss,<br />

den ein <strong>and</strong>erer nahöstlicher Staat, Saudi-Arabien, zu<br />

dieser Zeit auf die britische Politik ausübte. Die Aktivitäten<br />

der britischen Luftfahrtindustrie British Aerospace<br />

(BAE) im saudischen Königreich reichen zurück<br />

bis in die 60er Jahre <strong>und</strong> kristallisierten sich im<br />

September 1985 im Al Yamamah contract durch das<br />

persönliche Eingreifen von Premierministerin Thatcher.<br />

Eine weitere Vereinbarung in Milliardenhöhe<br />

schloss sich 1988 an (S. 167f.).<br />

Zu einem prekären Politikum wurden die Waffenlieferungen<br />

im Mai 2004, als Angehörige des Amtes für<br />

schweren Betrug (Serious Fraud Office) des Verteidigungsministeriums<br />

Kisten mit Dokumenten über illegale<br />

Zahlungen führender Mitarbeiter der BAE an<br />

einflussreiche Saudi-Araber beschlagnahmten.<br />

Die Ermittlungen wurden auf Anordnung des Leiters<br />

dieses Amtes unter Druck von innerhalb der Regierung<br />

sowie von Seiten der BAE <strong>und</strong> Saudi-<br />

Arabiens aus Gründen nationaler Sicherheit, wie Premierminister<br />

Blair erklärte, jedoch eingestellt. Eine<br />

Fortsetzung der Ermittlungen, so hieß es, hätte Saudi-<br />

Arabien veranlasst, die Zusammenarbeit der Geheimdienste<br />

einzustellen, die in London als unabdingbar<br />

bei der Bekämpfung von al-Qa’ida angesehen wurde.<br />

Zudem st<strong>and</strong> die Vereinbarung von weiteren Waffenlieferungen<br />

im Wert von zehn Milliarden Pf<strong>und</strong> auf<br />

dem Spiel. Dieses Verfahren warf Fragen auf über die<br />

Definition der nationalen Sicherheitsinteressen <strong>und</strong><br />

die Verantwortlichkeit der Exekutiv- <strong>und</strong> Strafverfolgungsbehörden.<br />

Die Möglichkeit, dass die Saudi-<br />

Araber die britische Regierung erfolgreich gedrängt<br />

hatten, in den “Verlauf der Gerechtigkeit” (course of<br />

justice) einzugreifen, um das saudische Regime, BAE,<br />

britische Minister <strong>und</strong> Regierungsbeamte nicht in<br />

Verlegenheit zu bringen, hinterließ, wie Hollis bemerkt,<br />

einen “sehr faden Nachgeschmack” (S. 174f.).<br />

Schlimmer noch, die britische Irak-Politik, die zur<br />

Beteiligung an der amerikanischen Invasion im März<br />

2003 führte <strong>und</strong> in London <strong>und</strong> <strong>and</strong>eren britischen<br />

Städten etwa zwei Millionen Demonstranten gegen<br />

den Krieg auf die Straßen trieb, löste “ernsthafte Besorgnisse<br />

<strong>und</strong> Debatten” über die Beschaffenheit der<br />

britischen Demokratie aus. Die auch in den Medien<br />

geführten Diskussionen über diese Politik setzten sich<br />

jedoch nicht um in eine Niederlage von Neu-Labour<br />

bei den Parlamentswahlen von 2005. Bei ihrer Entscheidung<br />

stellten die meisten Wähler außenpolitische<br />

Themen gegenüber wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen<br />

Überlegungen, die sich auf ihren Lebensunterhalt unmittelbar<br />

auswirkten, offenbar hintan.<br />

Die Schilderung von Britanniens “Hineingleiten” in<br />

den Krieg (S. 86-106) <strong>und</strong> den Auswirkungen (fall-<br />

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