4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations
4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations
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DISSERTATIONEN DISSERTATIONS<br />
angehörigkeit besitzen, längst als fester Teil der deutschen<br />
Gesellschaft anerkannt. Diese Anerkennung<br />
wird ihnen aber nur zuteil, solange sie nicht gegen<br />
Gesetze verstoßen.<br />
Im weiten Feld der Migrations- <strong>und</strong> Integrationsforschung<br />
wurde dem Bereich der Ausweisung <strong>und</strong> Abschiebung<br />
– beides Formen staatlich gelenkter<br />
Zwangsmigration – bislang wenig Aufmerksamkeit<br />
geschenkt. Die Öffentlichkeit nimmt von den meisten<br />
wegen Straffälligkeit erfolgten Ausweisungen <strong>und</strong><br />
Abschiebungen ausländischer, insbesondere in<br />
Deutschl<strong>and</strong> geborener <strong>und</strong> aufgewachsener türkischer<br />
Staatsangehöriger, kaum Notiz. Im Unterschied zum<br />
deutschen Straftäter droht dem ausländischen Staatsangehörigen<br />
je nach Schwere der verübten Straftat(en)<br />
im Anschluss an die Verbüßung einer Haftstrafe die<br />
Ausweisung oder Abschiebung in sein Herkunftsl<strong>and</strong><br />
– Rückkehr in der Regel ausgeschlossen. Allein aus<br />
Nordrhein-Westfalen wurden zwischen 1994 <strong>und</strong><br />
2005 r<strong>und</strong> 2.000 Personen wegen der Verübung von<br />
Straftaten in die Türkei abgeschoben, wobei die offiziellen<br />
Abschiebestatistiken stets kritisch zu hinterfragen<br />
sind.<br />
Eine Abschiebung stellt einen gravierenden Bruch<br />
im Leben der Betroffenen dar, denn plötzlich verändert<br />
sich die gesamte bisherige Lebenswelt. Es wird<br />
die Kluft zwischen dem Herkunftsl<strong>and</strong> im rechtlichen<br />
Sinne Türkei <strong>und</strong> dem de facto „alltagsweltlichen“<br />
Herkunftsl<strong>and</strong> Deutschl<strong>and</strong> deutlich. Für den Einzelnen<br />
folgt daraus eine spannungsgeladene Diskrepanz,<br />
mit der es zurechtzukommen gilt. Neben dieser Diskrepanz<br />
sind die Betroffenen im Herkunftsl<strong>and</strong> mit<br />
sprachlichen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Eingliederungsproblemen<br />
konfrontiert.<br />
Anh<strong>and</strong> von Einzelfällen zeigt der Autor die Probleme<br />
<strong>und</strong> Folgen auf, die eine Ausweisung oder Abschiebung<br />
von kriminell gewordenen Angehörigen der<br />
sogenannten zweiten Generation türkischer Staatsangehöriger<br />
im Hinblick auf deren Eingliederung in die<br />
türkische Gesellschaft mit sich bringt. Die „Integrationstheorie“<br />
von Hartmut Esser, das Konzept des<br />
„Bleibenden Fremden“ von Georg Simmel, das des<br />
„Einw<strong>and</strong>ernden Fremden“ von Alfred Schütz sowie<br />
das Konzept des „Marginal Man“ von Robert E. Park<br />
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bilden die theoretische Gr<strong>und</strong>lage der Untersuchung.<br />
Die Analyse qualitativer Interviews, die in der südtürkischen<br />
Provinz Antalya mit mehr als 20 von Abschiebung<br />
Betroffenen geführt wurden, zeigt, dass die<br />
Integration in die türkische Aufnahmegesellschaft<br />
letztlich scheitert. Gründe dafür sind hohe soziale<br />
Barrieren auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft, wie<br />
die Stigmatisierung der Betroffenen als „Almancı“<br />
(Deutschländer) <strong>und</strong> mangelnde integrationsförderliche<br />
Opportunitäten. Auf Seiten der Betroffenen liegt<br />
oft nur eine geringe Motivation zur Aufnahme integrationsförderlicher<br />
H<strong>and</strong>lungen vor, was sich beispielsweise<br />
in der „Rückkehr-Illusion“ manifestiert.<br />
Einerseits stellt die im Individuum verhaftete<br />
„Rückkehr-Illusion“ eine wichtige Strategie zur Verdrängung<br />
der Endgültigkeit des juristischen Ausschlusses<br />
aus Deutschl<strong>and</strong> dar. Geschuldet ist sie der<br />
Sozialisation in Deutschl<strong>and</strong>. Für viele der Betroffenen<br />
ist Deutschl<strong>and</strong> „Heimat“ <strong>und</strong> dorthin wollen sie<br />
zurück. Andererseits führt die Illusion einer Rückkehr<br />
zu Abkapselung <strong>und</strong> sozialem Rückzug der Betroffenen.<br />
Sie hemmt die Aufnahme sozialer Beziehungen<br />
zu den Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft.<br />
Die „Almancı-Stigmatisierung“ geht von der Aufnahmegesellschaft<br />
aus. Sie betrachtet die Betroffenen<br />
wegen ihrer schlechten Türkischkenntnisse, der kriminellen<br />
Vergangenheit, der Abschiebung <strong>und</strong> ihrer<br />
mangelnden Vertrautheit mit den herrschenden Normen<br />
<strong>und</strong> Werten allenfalls als geduldete Außenseiter.<br />
Zugleich sind es jedoch die spezifischen Kenntnisse<br />
der Betroffenen, wie die Beherrschung der deutschen<br />
Sprache, die ihnen in der hybriden Zwischenwelt des<br />
internationalen Tourismus marginale Räume eröffnen.<br />
Sie etablieren sich an den für die türkische Gesellschaft<br />
marginalen Orten der Städte <strong>und</strong> touristischen<br />
Destina<strong>tionen</strong>. Zu diesen Orten zählen die Touristenbasare,<br />
die in den Augen der Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft<br />
sowohl in räumlicher als auch in<br />
gesellschaftlicher <strong>und</strong> sozialer Hinsicht kriminelle <strong>und</strong><br />
marginale Orte darstellen.<br />
Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass anstelle<br />
von sozialer Einschließung Abgeschobener deren<br />
soziale Ausschließung vorherrscht. Die Beziehungen<br />
zwischen den Betroffenen <strong>und</strong> den Mitgliedern der<br />
türkischen Mehrheitsgesellschaft sind von Diskriminierung,<br />
Stigmatisierung, Zurückweisung, sozialer<br />
Nicht-Akzeptanz <strong>und</strong> großer Distanz gekennzeichnet.<br />
Für die Betroffenen bedeutet dies ein mitunter psychisch<br />
stark belastendes Leben zwischen Fremd- <strong>und</strong><br />
Selbstisolation. Selbst wenn es ihnen gelingt, mit ihrer<br />
Situation umzugehen <strong>und</strong> Defini<strong>tionen</strong> zu finden, die<br />
ihnen einen relativ konfliktfreies Leben ermöglichen,<br />
bleiben sie dauerhaft Außenseiter in einer Gesellschaft,<br />
mit der sie nach dem langen Aufenthalt in<br />
Deutschl<strong>and</strong> nur noch die Staatangehörigkeit auf dem<br />
Papier verbindet.<br />
Die Dissertation ist als elektronische Version abrufbar<br />
unter: URL: http://ubm.opus.hbz-nrw.de/voll texte/2011/2570/ArchiMeD<br />
(Archiv Mainzer elektronischer<br />
Dokumente), Universität Mainz.