4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations
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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />
Mit der unter Sadat in Gang gesetzten “Politik der<br />
Öffnung” (siyasat al-infitah) hatte sich die Elitenstruktur<br />
gr<strong>und</strong>legend verändert, wie Roll schreibt:<br />
Neben der unter Abdal Nasir eingerichteten Staatsklasse<br />
gewann die von Sadat protegierte Infitah-<br />
Bourgeoisie zunehmend Einfluss auf die politischen<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlichen Entscheidungsprozesse. Die große<br />
Zahl ehemaliger Minister, Provinzgouverneure <strong>und</strong><br />
Offiziere in den Vorständen neu gegründeter Privatunternehmen<br />
erinnerte an die ersten Jahre nach dem<br />
Sturz der Monarchie, als alle strategisch bedeutenden<br />
Posi<strong>tionen</strong> in der Wirtschaft von Militärs besetzt wurden,<br />
mit dem entscheidenden Unterschied: Während<br />
unter Abdal Nasir Vertreter der Staatsklasse den Einfluss<br />
des Staates auf die Wirtschaft sichergestellt hatten,<br />
vertraten sie unter Sadat die Interessen ihrer privaten<br />
Arbeitgeber gegenüber dem Staat. “Während<br />
Vertreter der Infitah-Bourgeoisie immer offensiver<br />
größere wirtschaftliche Freiheiten einforderten <strong>und</strong> ihre<br />
geschäftlichen Interessen nicht selten mit krimineller<br />
Energie durchzusetzen suchten, sahen die Entscheidungsträger<br />
im Staatsapparat <strong>und</strong> im öffentlichen<br />
Sektor ihre Machtstellung im Herrschaftssystem bedroht.”<br />
(S. 97).<br />
Mubarak, der dem inneren Machtzirkel um Sadat<br />
angehört hatte <strong>und</strong> als einer der ranghöchsten Offiziere<br />
im Militär- <strong>und</strong> Geheimdienstapparat hervorragend<br />
vernetzt war, hatte offenbar kaum Beziehungen zu<br />
den wichtigsten Angehörigen der Infitah-Bourgeoisie<br />
<strong>und</strong> baute seine eigene zivile Unterstützungsklientel<br />
auf. Nach <strong>und</strong> nach brachte er eigene Vertraute wie<br />
den Karrierebürokraten Jusuf Wali, der 1984 zum<br />
Generalsekretäre der Nationaldemokratien Partei befördert<br />
wurde, in strategisch wichtige Stellungen <strong>und</strong><br />
drängte den Einfluss mächtiger Vertreter der Infitah-<br />
Bourgeoisie wie Ahmad Uthman, Aschraf Marwan<br />
<strong>und</strong> Saiyid Mar’i zurück. Um ein Gegengewicht zur<br />
Infitah-Bourgeoisie zu schaffen, förderte Mubarak in<br />
seinen ersten Amtsjahren einen begrenzten politischen<br />
Pluralismus <strong>und</strong> gab im Parlament <strong>und</strong> in den Medien<br />
Raum für Kritik an den “Auswüchsen” der “Öffnungspolitik”<br />
(S. 98). Auch die Mitte der 70er Jahre<br />
entst<strong>and</strong>enen “Islamischen Investitionsgesellschaften”,<br />
die den neuen Machthabern als eine Bedrohung<br />
erschienen, wurden schließlich liquidiert.<br />
Ausführlich schildert Roll die Anfang der 90er Jahre<br />
begonnene Reform der Wirtschaftsstruktur <strong>und</strong> ihren<br />
Hauptbest<strong>and</strong>teil: die Privatisierung der Staatsunternehmen<br />
<strong>und</strong> ihre Auswirkung auf das Verhältnis zwischen<br />
Wirtschaft <strong>und</strong> Staat (S. 114ff.). In der ersten<br />
Reformphase (1991-2001) bemühte sich die Staatsführung<br />
zunächst, die Entstaatlichung der Finanzintermediation<br />
eher zu vermeiden; Roll zitiert das Wort<br />
vom “Reformtheater”. Zwischen 2001 <strong>und</strong> 2008 wurde<br />
die Entstaatlichung des Bankensektors massiv vorangetrieben<br />
(S. 166). Großunternehmer, oft als<br />
“Kumpelkapitalisten” (crony capitalists) bezeichnet,<br />
waren unter Sadat Best<strong>and</strong>teil der patrimonialen<br />
Staatsklasse geworden, die Entstehung privater wirtschaftlich<br />
unabhängiger Unternehmenskonglomerate<br />
war nicht erwünscht. Anfang der 90er Jahre gehörten<br />
die “Kumpelkapitalisten” zur Unterstützungsklientel<br />
200<br />
des Mubarak-Regimes <strong>und</strong> erfreuten sich bevorzugter<br />
Beh<strong>and</strong>lung bei öffentlichen Auftragsvergaben <strong>und</strong><br />
bei der Gewährung exklusiver H<strong>and</strong>elslizenzen <strong>und</strong><br />
hatten präferentiellen Zugang zu Krediten staatlicher<br />
<strong>und</strong> staatlich dominierter Banken – ein erheblicher<br />
Wettbewerbsvorteil gegenüber <strong>and</strong>eren Akteuren des<br />
privaten Wirtschaftssektors.<br />
Diese Vorzugsstellung machte die cronies freilich<br />
“von den Gunsterweisungen ihrer Patrone abhängig:<br />
Unbotmäßig gewordene Cronies konnten durch den<br />
Entzug öffentlicher Aufträge, die Sperrung von Bankkonten<br />
oder die Nichtgewährung von Krediten in die<br />
Schranken gewiesen werden.” (S. 172). Unliebsam<br />
gewordene Unternehmer <strong>und</strong> Bankiers wurden durch<br />
selektive Gerichtsverfahren aus ihren Stellungen entfernt<br />
<strong>und</strong> hinter Schloss <strong>und</strong> Riegel gebracht; Mubarak<br />
habe, so hieß es seinerzeit in Kairo, ein belastendes<br />
Dossier eines jeden Crony jederzeit zur H<strong>and</strong>, um<br />
aus der Schublade gezogen <strong>und</strong> an die Strafermittler<br />
weitergereicht zu werden. Besonderes Aufsehen erregte<br />
Anfang 2003 der Fall des dem Regime offenbar<br />
nicht gefügigen Geschäftsmanns Hussam Abul Futuh,<br />
der offenbar mächtigen Cronies geschäftlich ins Gehege<br />
gekommen war. Er wurde “regelrecht öffentlich<br />
vorgeführt”, als ein Sexvideo unter die Leute gebracht<br />
wurde, das bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt<br />
worden war. Er verlor seine Exklusivlizenz als BMW-<br />
Vertragshändler, <strong>und</strong> seine Familie wurde gezwungen,<br />
ein BMW-Fertigungswerk an ein neu gegründetes<br />
Unternehmen zu verkaufen. Als Nutznießer der<br />
Transaktion wurde Gamal Mubarak genannt – kaum<br />
ein einmaliger Vorgang.<br />
Als Hauptfigur in dem Netzwerk politischwirtschaftlicher<br />
Verflechtungen ragte Ahmad Izz hervor,<br />
der sich in eine Monopolstellung auf dem ägyptischen<br />
Stahlmarkt gebracht hatte. Die durch seinen<br />
wirtschaftlichen Einsatz in Sadat City geschaffenen<br />
Arbeitsplätze vermochte er in Wählerstimmen zu<br />
verw<strong>and</strong>eln: Als K<strong>and</strong>idat der Staatspartei errang er<br />
bei den Parlamentswahlen von 2000 ein M<strong>and</strong>at im<br />
Wahlbezirk Manufiya. Im Jahr zuvor war er in das<br />
Generalsekretariat der Partei berufen worden, gemeinsam<br />
mit Gamal Mubarak, <strong>und</strong> wurde zu dessen wichtigstem<br />
Verbündeten innerhalb der Partei. “Zudem<br />
übernahm er mit der Leitung des Sekretariats für organisatorische<br />
Angelegenheiten der NPD <strong>und</strong> dem<br />
Vorsitz des Haushaltsauschusses des Parlaments zwei<br />
der wohl bedeutendsten Posi<strong>tionen</strong> in der ägyptischen<br />
Politik” (S. 178-181). Versteht sich, dass Leute vom<br />
Schlage eines Izz ihr Möglichstes taten, um die angekündigte<br />
Liberalisierung des Bankensektors, die sich<br />
zu seinem Nachteil auswirken würde, hinauszuzögern.<br />
Ebenso wenig abwegig erschienen “Indizien” (S.<br />
207), die darauf hindeuteten, dass Mitglieder der Unternehmerelite<br />
den Kapitalmarkt zwischen 1990 <strong>und</strong><br />
2008 nicht nur zur Ausweitung ihrer unternehmerischen<br />
Aktivitäten <strong>und</strong> ihrer Verlagerung ins Ausl<strong>and</strong><br />
nutzten, sondern auch “um durch illegal oder zumindest<br />
zwielichtige Börsengeschäfte Kapital zu akkumulieren”.<br />
Roll zitiert den Vertreter einer internationalen<br />
Geschäftsbank mit der Bemerkung, die ägyptische<br />
Börse sei ein großes Spielkasino, in dem einige Spie-