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4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations

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VORTRÄGE 18. DAVO-KONGRESS PAPERS DAVO CONGRESS 2011<br />

der Jahrzehnte des Bürgerkrieges <strong>und</strong> folgender<br />

Hochgeschwindigkeits-globalisierung (ab 1992) eine<br />

– letztendlich sogar staatlich anerkannte – Wiederbelebung<br />

<strong>und</strong> Aufwertung erfahren hat; sowie ein Führer<br />

dessen Prestige auf seiner Rolle innerhalb einer<br />

transnationalen sozio-religiösen Bewegung gründet.<br />

Obwohl alle drei Autoritäten <strong>und</strong> ihre jeweilige Position<br />

eindeutig Produkte der kambodschanischen<br />

Nachkriegszeit (<strong>und</strong> somit der letzten zwei Jahrzehnte<br />

der Globalisierung) darstellen, sind hierbei jedoch<br />

auch durchaus bemerkenswerte historische Kontinuitäten<br />

feststellbar.<br />

Sarah Albrecht (Berlin): Wo ist dār al-islām? Zu<br />

Autorität <strong>und</strong> Territorialität im Diskurs um fiqh<br />

al-aqallīyāt<br />

Die Aufteilung der Welt in dār al-islām („Gebiet des<br />

Islam”), dār al-ḥarb („Gebiet des Krieges“) <strong>und</strong> <strong>and</strong>ere<br />

territoriale Kategorien hat seit der Frühzeit des Islam<br />

eine bedeutende Rolle in islamrechtlichen Kontexten<br />

gespielt. Auch im zeitgenössischen Diskurs um<br />

fiqh al-aqallīyāt – die Auslegung des islamischen<br />

Rechts für Muslime in nicht-islamisch geprägten Gesellschaften<br />

– kommt der Frage nach der Kategorisierung<br />

der Welt entscheidende Bedeutung zu. Am Beispiel<br />

von Yūsuf al-Qaraḍāwī <strong>und</strong> Ṭāhā al-ʿAlwānī,<br />

die sich in ihrer Rolle als Wegbereiter des fiqh alaqallīyāt<br />

als religiöse Autoritäten für Muslime in Europa<br />

<strong>und</strong> Nordamerika positionieren, wird erörtert,<br />

dass sich die Territorialkonzepte der beiden Rechtsgelehrten<br />

erheblich vonein<strong>and</strong>er unterscheiden <strong>und</strong> in<br />

divergierenden Posi<strong>tionen</strong> zum Verhältnis von Muslimen<br />

zu mehrheitlich nicht-muslimischen Gesellschaften<br />

resultieren.<br />

Al-Qaraḍāwī hält an einer dichotomen Einteilung<br />

der Welt fest, indem er zwischen dār al-islām, das er<br />

mit islamisch geprägten Länder identifiziert, <strong>und</strong> ġair<br />

dār al-islām, dem „nicht-islamischen Gebiet“, das den<br />

Rest der Welt umfasst, unterscheidet. Wenngleich er<br />

von klassischen Termini wie dār al-ḥarb Abst<strong>and</strong><br />

nimmt, erhält er die gr<strong>und</strong>legende Annahme aufrecht,<br />

dass die identitätsstiftende Heimat eines Muslims (alwaṭan<br />

al-islāmī) in muslimischen Mehrheitsgesellschaften<br />

verortet sei. Al-ʿAlwānī hingegen weist diese<br />

historisch entwickelten Konzepte mit Verweis auf<br />

fehlende normative Gr<strong>und</strong>lagen als anachronistisch<br />

zurück. Er definiert all jene Länder als „Gebiet des Islam“,<br />

in denen Muslime in Sicherheit leben <strong>und</strong> ihren<br />

religiösen Pflichten nachkommen können. Diesem,<br />

von der Idee einer geographisch lokalisierbaren „islamischen<br />

Welt“ losgelösten Verständnis des dār alislām<br />

entsprechend, ist die religiöse Heimat eines<br />

Muslims nicht an einen physischen Ort, sondern ausschließlich<br />

an einen imaginierten Raum religiöser<br />

Praxis geknüpft.<br />

Jens Kutscher (Erlangen): Was heißt da Fatwa-<br />

Chaos? Wie Muftis die politischen Einstellungen<br />

<strong>und</strong> Verhaltensweisen von Muslimen rechtfertigen<br />

Fatwas von sehr unterschiedlichen Websites haben<br />

oftmals ein<strong>and</strong>er widersprechende Meinungen hervorgebracht,<br />

wenn es um die Rechtleitung von Mus-<br />

22<br />

limen geht. Diese gegensätzlichen Rechtsmeinungen<br />

haben zu dem geführt, was in der Presse nicht selten<br />

als »Fatwa-Chaos« bezeichnet wird. Damit eng verknüpft<br />

ist die Frage nach islamischer Autorität <strong>und</strong> ihrer<br />

Pluralisierung bzw. ihrer Schwächung. Zwar lässt<br />

sich das Verhältnis von Autorität <strong>und</strong> Scharia veranschaulichen<br />

dank Max Webers Idee der Veralltäglichung<br />

charismatischer Herrschaft <strong>und</strong> Hannah<br />

Arendts Überzeugung, dass Autorität weder Zwang<br />

durch Gewalt sei, noch Überredung mit Argumenten.<br />

Vervollständigt wird die Analyse aber vom Konzept<br />

der Marǧaʻiyya.<br />

Bei Marǧaʻiyya geht es um die Rechtleitung von<br />

Muslimen auf Gr<strong>und</strong> der theologischen Auszeichnung<br />

der Muftis, ihrer Anhängerschaft <strong>und</strong> der Abwesenheit<br />

formaler Regeln. Dank ihrer Ausbildung als »Erben<br />

der Propheten« gelingt es Muftis, eigene Anhänger<br />

zu gewinnen <strong>und</strong> ihre Gemeinschaft zu leiten.<br />

Einerseits führt dies zu einem intellektuellen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Wettbewerb zwischen den Gelehrten<br />

um ihre Anerkennung als Träger von Marǧaʻiyya.<br />

Andererseits ist diese zumindest implizite Konkurrenz<br />

um die korrekte Interpretation der normativen Quellen<br />

<strong>und</strong> ihre Anwendung in der politischen Praxis des 21.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts der Gr<strong>und</strong>, warum Muslime überhaupt<br />

eine Wahl haben.<br />

Es wird deutlich, dass unterschiedliche Muftis – etwa<br />

Yūsuf al-Qaradāwī <strong>und</strong> Muhammad Sālih al-<br />

Munaǧǧid – in der gleichen Frage – nämlich, ob Wählen<br />

aus Sicht der Scharia legitim sei – zu unterschiedlichen<br />

Ergebnissen kommen können – Wählen also<br />

auf Gr<strong>und</strong> der gleichen Rechtsfindungsmethoden für<br />

empfohlen bzw. missbilligt erklären. Doch durch ihre<br />

Arbeit <strong>und</strong> auf der Basis der Tradition versuchen sie,<br />

freiwilligen Gehorsam der Fragesteller – insbesondere<br />

ihrer Anhänger – zu gebieten.<br />

9. Benevolent Engagement among Muslims:<br />

Triggers, Target Groups, Fields of Action<br />

Paula Schrode (Heidelberg): Bedingungen muslimischer<br />

ritueller Wohltätigkeit in Deutschl<strong>and</strong><br />

<strong>und</strong> der Türkei<br />

Islamische rituelle Wohltätigkeitspraktiken transformieren<br />

sich im Zuge sozio-ökonomischen W<strong>and</strong>els;<br />

zugleich verschieben sich durch Migration <strong>und</strong> Globalisierung<br />

soziale Interaktionsräume <strong>und</strong> imaginierte<br />

Grenzen. Das Projekt, aus dem dieser Beitrag berichtet,<br />

widmet sich den damit verb<strong>und</strong>enen (Re-)konstruk<strong>tionen</strong><br />

<strong>und</strong> Materialisierungen von Gemeinschaft<br />

in multiethnischen islamischen Kontexten in Deutschl<strong>and</strong><br />

sowie einer von Migration geprägten ländlichen<br />

Gegend der Türkei.<br />

Die präsentierten Feldforschungsergebnisse stammen<br />

aus einem Dorf der türkischen Schwarzmeerregion.<br />

Das Opferfest als islamische Tradition <strong>und</strong> die<br />

damit verb<strong>und</strong>enen normativ-religiösen Narrative –<br />

das Teilen von Opferfleisch als Ausdruck von Einheit,<br />

Gemeinschaftlichkeit <strong>und</strong> Solidarität – sind zentral an<br />

das Selbstbild der Dorfbewohner als einer muslimischen<br />

Gemeinschaft gekoppelt. Trotz der hohen ideo-

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