4 Dissertationen und Habilita- tionen / Dissertations and Habilitations
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REZENSIONEN BOOK REVIEW<br />
Im 1. Kapitel The Mohamedian years werden – mit<br />
Anlass des Wahlboykotts 2007 durch Teile der Wählerschaft<br />
- die bis heute bestehenden Unzulänglichkeiten<br />
des Systems besprochen, darunter mangelnde<br />
Pressefreiheit <strong>und</strong> mangelnde Unabhängigkeit der<br />
Justiz. An drei Punkten zeigt Boukhars, wie die königlichen<br />
Netzwerke zum Machterhalt beitragen. Erstens<br />
ließ das Regime seine Anhänger in jüngster Zeit<br />
Peti<strong>tionen</strong> gegen kritische Äußerungen über das Königreich<br />
unterschreiben bei gleichzeitiger Auslobung<br />
der Demokratisierungsfortschritte (p. 24). Zweitens<br />
geht ein von 200 Richtern unterzeichneter Bericht gegen<br />
Korruption <strong>und</strong> persönliche Begünstigung, der<br />
2007 veröffentlicht wurde, auf eine Initiative des Präsidenten<br />
des Rechnungshofes zurück, der ein enger<br />
Vertrauter des Königs ist. Dies lässt den Autor vermuten,<br />
dass der König selbst diesen Bericht initiiert hat,<br />
um sich ein Sprachrohr gegen Korruption <strong>und</strong> Nepotismus<br />
zu sichern (p. 26). Drittens rief der König die<br />
private Wohlfahrtsorganisation Fondation Mohamed<br />
V ins Leben, um den islamistischen Kräften entgegenzuwirken.<br />
Sie operiert mit Staatsgeldern, steht aber<br />
nicht unter staatlicher Aufsicht. Außer den Staatsgeldern<br />
erhält sie private Zuwendungen von Personen,<br />
die sich dem König gefällig zeigen. Damit ist die Organisation<br />
gegenüber <strong>and</strong>eren NGO’s privilegiert <strong>und</strong><br />
hat einen weiteren H<strong>and</strong>lungsspielraum als ihre Konkurrenten<br />
(p. 28).<br />
Leider finden sich in diesem Kapitel eine dramatisierende<br />
Übertreibung: dem „one in two Moroccans<br />
can neither write not read“ steht entgegen, dass die<br />
gleich danach angegebenen <strong>und</strong> regional angesetzten<br />
Quoten (p. 29) für eine niedrigere Analphabetenrate<br />
im L<strong>and</strong>esdurchschnitt sprechen. Die Arbeitslosenrate<br />
von 45 % unter Bachelor-Absolventen (p. 30) <strong>und</strong> die<br />
permanenten Proteste vor dem Parlament in Rabat,<br />
die arbeitslose Master- <strong>und</strong> Promotionsabsolventen<br />
abhalten (p. 31) werden zum Anlass genommen, die<br />
Inadäquatheit des gesamten Bildungssystems zu besprechen.<br />
Bei den Entwicklungsmaßnahmen, die der<br />
König erfolgreich durchgeführt hat – wie z.B. Elektrifizierung<br />
<strong>und</strong> Wasserversorgung der ländlichen Gegenden,<br />
Autobahnbau, Containerhafen Tanger – hebt<br />
der Autor die Genauigkeit der Geschäftsplanung <strong>und</strong><br />
die Schnelligkeit der Ausführung als positiv hervor<br />
(p. 35).<br />
Im 2. Kapitel The monarchy’s arsenal of powers<br />
werden die Hauptmerkmale der Monarchie unter Mohamed<br />
VI dargelegt, für die sein Vater Hassan II den<br />
absolutistischen Gr<strong>und</strong>stein gelegt hatte (p. 39).<br />
Hassans Herrschaft beruhte auf der konstitutionell<br />
verankerten Vereinigung sakraler <strong>und</strong> weltlicher<br />
Macht, die in dem selbst verliehenen Titel Amīr al-<br />
Mu’imīn, „Führer der Gläubigen“ Ausdruck findet (p.<br />
42). Sie ist einzig in der arabischen Welt <strong>und</strong> findet<br />
sich laut Robin Wright in dieser Form nicht einmal in<br />
Saudi-Arabien (p. 40). In der vorkolonialen Zeit konkurrierten<br />
verschiedene Akteure um die Macht: der<br />
Sultan, Stämme <strong>und</strong> ihre Führer, etablierte Zawiyyāt,<br />
die orthodoxen c Ulamā‘ sowie urbane Eliten. Erst<br />
durch den Willen der französischen Kolonialmacht<br />
erhielt der Sultan die herausragende Stellung, die ihn<br />
zum König machen sollte (p. 41).<br />
Mit dem Ende der Kolonialzeit erbte er einen mächtigen<br />
Staatsapparat mit bedeutenden Institu<strong>tionen</strong> (p.<br />
42). Hassan II stärkte seine Macht, in dem er Legislative<br />
<strong>und</strong> Exekutive so konzipierte, dass sie seinen<br />
Willen ausführen. Dies wird durch ein schwaches –<br />
obwohl seit 1996 bikamerales Parlament – deutlich,<br />
das bis heute keinerlei legislative Kompetenzen hat<br />
<strong>und</strong> keine deutlichen Parteienmehrheiten zulässt (p.<br />
42). Die Regierungsmannschaft ist vom König persönlich<br />
abhängig, ihre Mitglieder misstrauen sich gegenseitig,<br />
arbeiten oft gegenein<strong>and</strong>er <strong>und</strong> sind dem<br />
mächtigen Generalsekretär unterworfen, der den Willen<br />
des Königs durchsetzt (pp. 45 <strong>und</strong> 55). Obwohl<br />
während der ersten Regierungsjahre von Mohamed VI<br />
Hoffnung auf einen W<strong>and</strong>el hin zur einer konstitutionellen<br />
Monarchie <strong>und</strong> zu mehr Freiheiten best<strong>and</strong>,<br />
setzt er die ererbten Strukturen (p. 48) in einer Phase<br />
des „neo-makhzenism“ (p. 59) fort. Die Dienstbarkeit<br />
der politischen Parteien wurde durch ein Gesetz aus<br />
dem Jahr 2005 gestärkt, das ihre Funk<strong>tionen</strong> <strong>und</strong> Aufgaben<br />
einschränkt (p. 49), eine Vielzahl neuer Komitees,<br />
Stiftungen <strong>und</strong> Institu<strong>tionen</strong>, die parallel zu den<br />
Ministerien arbeiten, sind aus dem Boden geschossen<br />
<strong>und</strong> das königliche Kabinett, das die eigentlichen politischen<br />
Entscheidungen trifft, wurde mächtiger (p.<br />
51). Seine Mitglieder stammen aus jenen Familien,<br />
die die marokkanische Wirtschaft seit der Unabhängigkeit<br />
dominieren. Allerdings hat der junge König in<br />
diesem Gremium wie auch in der Verwaltung <strong>und</strong> Bürokratie<br />
insgesamt Technokraten kooptiert. Ihnen<br />
wurde der mittlere (Ministerposten, Armeeoffiziere,<br />
Führungsposi<strong>tionen</strong> politischer Institu<strong>tionen</strong> <strong>und</strong> religiöse<br />
Führer) <strong>und</strong> äußere Kreis (Vertreter der Regionalverwaltungen,<br />
prominente Parlamentsmitglieder<br />
<strong>und</strong> Akteure der Zivilgesellschaft) der politisch relevanten<br />
Elite geöffnet, während sich ihr Kern aus engen<br />
Fre<strong>und</strong>en des Monarchen <strong>und</strong> den Mitgliedern<br />
des königlichen Kabinetts zusammensetzt.<br />
Zwar hat keine Erneuerung der Eliten stattgef<strong>und</strong>en,<br />
aber eine Umbildung durch Rotation wie auch eine<br />
Pluralisierung durch das Hinzuziehen von Technokraten<br />
(p. 52). Der König jongliert <strong>und</strong> gleicht zwischen<br />
verschiedenen sozialen Gruppen, die direkt von ihm<br />
abhängig sind <strong>und</strong> deren Interessen er zum eigenen<br />
Machterhalt berücksichtigen muss, aus. Dies erklärt<br />
das Spannungsfeld des königlichen H<strong>and</strong>elns, das sich<br />
zwischen den Polen modern / liberal <strong>und</strong> tradionalistisch<br />
/ illiberal bewegt (p. 54).<br />
Im 3. Kapitel Politics without positions wird die<br />
Zerrissenheit der Parteienl<strong>and</strong>schaft gezeigt, die seit<br />
vorkolonialer Zeit besteht <strong>und</strong> die es dem Regime ermöglicht,<br />
die Politik zu „pulverisieren“. Zu den Wahlen<br />
2007 traten 33 politische Parteien an (p. 61), die<br />
weder auf dem Rechts-Links-Spektrum noch nach säkular<br />
/ islamistisch sortiert werden können (p. 63).<br />
Eine neuere Partei, die PAM (Parti Authenticité et<br />
Modernité), wurde im Jahr 2008 von einem engen<br />
Vertrauten des Königs gegründet, was ihre eine wachsende<br />
Anhängerschaft beschert hat (p. 77). Im Weiteren<br />
wird die Entwicklung der Parteienl<strong>and</strong>schaft seit<br />
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