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Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...

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wahr in dem Sinne, dass es approximativ zutrifft. Eine sehr genaue Messung würde<br />

höchstwahrscheinlich eine Abweichung vom Wert 70 ergeben, aber diese<br />

Abweichung ist für Körpergewichtsangaben im Alltag zu klein, um von Interesse zu<br />

sein. Für einen Apotheker, <strong>der</strong> durch Mischung von Substanzen ein Medikament<br />

herstellt, könnte die für eine Körpergewichtsangabe unerhebliche Abweichung<br />

hingegen ein sehr großer Wert sein.<br />

Ein an<strong>der</strong>es Beispiel: Es ist wahr, dass die Erde rund ist. Sie ist allerdings keine Kugel<br />

im exakten geometrischen Sinne, doch es kommt hier darauf an, wie im gegebenen<br />

Diskussionszusammenhang die Gegenhypothese lautet. Im Vergleich zu <strong>der</strong> älteren<br />

Gegenhypothese, dass die Erde eine flache Scheibe ist, drückt <strong>der</strong> Begriff „rund“ den<br />

entscheidenden Unterschied aus. Befänden wir uns dagegen in einer Diskussion<br />

darüber, wie sehr die Erde an den Polen abgeflacht ist, so wäre die Aussage, dass die<br />

Erde rund sei, als falsch einzustufen. Bei Bedarf ist es notwendig, Aussagen weiter zu<br />

präzisieren, bevor über ihre Wahrheit befunden werden kann, wobei es stets vom<br />

gegebenen Problem abhängt, welcher Grad an Präzisierung erfor<strong>der</strong>lich und sinnvoll<br />

ist.<br />

Aus <strong>der</strong> Korrespondenztheorie ergeben sich zwei wichtige Konsequenzen, die<br />

beachtet werden müssen. Zum einen ist das Vorliegen von Wahrheit nicht dasselbe<br />

wie die Feststellung von Wahrheit. Das geht deutlich aus dem obenstehenden Beispiel<br />

hervor: Die Aussage „Am 1. Jänner 2000 hat es in Linz geregnet“ kann wahr sein,<br />

auch wenn wir sie im Augenblick noch nicht überprüft und gegebenenfalls bestätigt<br />

haben. Es kann sogar Aussagen geben, die wahr sind, obwohl es prinzipiell nicht<br />

möglich ist, ihre Wahrheit festzustellen. Wahrheit bzw. Falschheit ist eine Beziehung<br />

zwischen einer Aussage und <strong>der</strong> Realität, nicht zwischen einer Aussage und<br />

bestimmten Beobachtungsergebnissen. (Bestätigung und Falsifikation sind dagegen<br />

Beziehungen zwischen Aussagen und Beobachtungsergebnissen.)<br />

Zum an<strong>der</strong>en lässt die korrespondenztheoretische Wahrheitsauffassung keine absolute<br />

Gewissheit im Erkennen zu. Das, was eine Aussage wahr o<strong>der</strong> falsch macht, ist die<br />

objektive Realität, und diese lässt sich niemals mit völliger Sicherheit erkennen. Es ist<br />

zwar durchaus vernünftig zu sagen: „Alle Beobachtungen sprechen dafür, dass die<br />

Erde rund und nicht flach ist, daher können wir diese Hypothese als wahr<br />

akzeptieren.“ Dennoch muss man sich hinzudenken, dass grundsätzlich keiner<br />

Aussage völlige Gewissheit zukommen kann, d.h. man muss die Erkenntnishaltung<br />

einnehmen, die oben als Fallibilismus bezeichnet wurde.<br />

Kann man Wahrheit denn an<strong>der</strong>s auffassen, als auf diese Weise? Zwei alternative<br />

Auffassungen seien kurz skizziert, die als Kohärenztheorie und Konsenstheorie<br />

bezeichnet werden. Beide gehen davon aus, dass es problematisch sei, die objektive<br />

Realität als Bezugspunkt für die Wahrheit zu wählen. Sie schlagen einen an<strong>der</strong>en<br />

Bezugspunkt vor, <strong>der</strong> es eindeutiger möglich machen soll, über die Wahrheit einer

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