Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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Aussage eine definitive Entscheidung zu treffen. Das Vorliegen von Wahrheit soll<br />
stärker mit <strong>der</strong> Feststellung <strong>der</strong> Wahrheit zusammenfallen.<br />
Nach <strong>der</strong> Kohärenztheorie ist eine Aussage A genau dann wahr, wenn sie mit einem<br />
bestimmten, ausgezeichneten System S von Aussagen übereinstimmt. Hierbei kann<br />
man als Kriterium für Kohärenz entwe<strong>der</strong> for<strong>der</strong>n, dass A mit S logisch konsistent<br />
sein muss; o<strong>der</strong> man kann die stärkere For<strong>der</strong>ung erheben, dass A aus S logisch<br />
ableitbar sein muss. Beides lässt sich im Idealfall durch logische Analysen<br />
entscheiden. Wir müssen hier also nur noch Aussagen mit Aussagen vergleichen; <strong>der</strong><br />
als problematisch angesehene Vergleich von Aussagen mit <strong>der</strong> Realität erübrigt sich.<br />
Eine schwierige Frage ist natürlich, was das ausgezeichnete System S sein soll. Es<br />
könnte z.B. die Gesamtheit <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Wissenschaft bisher akzeptierten Gesetze<br />
sein. O<strong>der</strong> die Gesamtheit <strong>der</strong> Aussagen, die alle bisherigen Beobachtungen<br />
beschreiben. O<strong>der</strong> die Gesamtheit <strong>der</strong> bisherigen Gesetze und Beobachtungsbeschreibungen.<br />
Dieser Ansatz beseitigt nun zwar das Problem, dass man die Realität niemals völlig<br />
sicher erkennen kann. Dafür bezahlt man aber einen Preis. Die Kohärenztheorie<br />
handelt sich dafür einige Probleme ein, die bisher nicht zufrieden stellend gelöst<br />
werden konnten. Erstens ist es immer eine willkürliche, letztlich dogmatische<br />
Entscheidung, was als S gewählt wird. Da in einer Wissenschaft nie alle dieselben<br />
Lehrmeinungen vertreten, würde man sich nie einig werden, welche davon die<br />
grundlegende sein soll, die fortan das Kriterium für die Wahrheit aller an<strong>der</strong>en<br />
abgeben soll. Welche Theorien sollte man zu S machen angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass<br />
in allen Wissenschaften Theorien miteinan<strong>der</strong> konkurrieren und gelegentlich welche<br />
aufgegeben und durch an<strong>der</strong>e abgelöst werden?<br />
Das Problem <strong>der</strong> Feststellung <strong>der</strong> Wahrheit erweist sich übrigens im Rahmen <strong>der</strong><br />
Kohärenztheorie als durchaus nicht so einfach lösbar, wie es zunächst scheinen mag:<br />
Wenn S wenige, überschaubare Gesetze umfasst, dann wird S zu den allermeisten<br />
Aussagen, über <strong>der</strong>en Wahrheit man etwas wissen will, keinen logischen Bezug<br />
haben. Wenn S aber sehr vieles umfasst, sagen wir, die Gesamtheit <strong>der</strong> in den<br />
Wissenschaften <strong>der</strong>zeit akzeptierten Aussagen, dann wäre es keineswegs einfach,<br />
von einer neuen Aussage A definitiv festzustellen, ob sie mit allen Aussagen<br />
innerhalb von S konsistent ist; denn wer könnte alle diese Aussagen überblicken und<br />
mit Gewissheit entscheiden, dass keine darunter ist, die mit A in Konflikt steht?<br />
Der Grundgedanke <strong>der</strong> Konsenstheorie besteht darin, dass eine Aussage als wahr<br />
gelten soll, wenn über sie unter gewissen idealen Bedingungen ein Konsens erzielt<br />
werden kann. Unter welchen Bedingungen liegt ein idealer Konsens vor? Nach<br />
einem Vorschlag von Kamlah und Lorenzen gilt eine Aussage genau dann als wahr,<br />
wenn ihr jede Person zustimmen würde, die 1) gutwillig ist (keine<br />
Täuschungsabsicht hat), 2) vernünftig ist (nicht von Emotionen geleitet wird), 3)