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Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...

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12. Werturteile in <strong>der</strong> Wissenschaft<br />

Häufig kann man die Behauptung hören, dass Wissenschaft nicht wertfrei sei. Warum<br />

wird dies betont? Zweifelt jemand an, dass in den Wissenschaften Wertungen<br />

vorgenommen werden? Tatsächlich hat <strong>der</strong> Soziologe Max Weber eine For<strong>der</strong>ung<br />

erhoben, die als Wertfreiheitsprinzip bekannt geworden ist. Weber sagte, dass die empirische<br />

Wissenschaft nicht zu lehren vermag, was man tun soll. Weiterhin for<strong>der</strong>te<br />

er, dass Wissenschaftler in ihren Schriften und Vorträgen stets einen klaren Unterschied<br />

machen sollten zwischen Tatsachenerkenntnissen und ihren Werturteilen, etwa<br />

über politische und weltanschauliche Fragen.<br />

Ende <strong>der</strong> 60er Jahre war das Wertfreiheitsprinzip stark umstritten und stand im<br />

Mittelpunkt <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit philosophischen Fragen <strong>der</strong> <strong>Sozialwissenschaften</strong>,<br />

man nannte dies den „Werturteilsstreit”. Die Frankfurter Schule (Max Horkheimer,<br />

Theodor W. Adorno) <strong>der</strong>en Lehre als die kritische Theorie bekannt ist, und<br />

auch Jürgen Habermas, <strong>der</strong> damals den Ideen <strong>der</strong> Frankfurter Schule nahe stand,<br />

lehnten eine wertfreie Wissenschaft ab. Sie hielten es für unmöglich, in den<br />

<strong>Sozialwissenschaften</strong> zwischen Tatsachen und Werten zu trennen. Nach ihrer<br />

damaligen Überzeugung haben die <strong>Sozialwissenschaften</strong> außerdem die Aufgabe,<br />

Gesellschaftskritik zu üben und zur Emanzipation des Menschen aus Verhältnissen<br />

<strong>der</strong> Unterdrückung beizutragen.<br />

Eine Ablehnung des Wertfreiheitsprinzips auf neomarxistischer Grundlage ist <strong>der</strong>zeit<br />

in <strong>der</strong> Philosophie eher selten zu finden. Verbreitet ist jedoch eine Einstellung,<br />

die man als das Prinzip <strong>der</strong> Verantwortlichkeit bezeichnen kann. Für die Wissenschaft<br />

bedeutet dies, dass sie Verantwortung dafür trägt, was sie den Politikern und <strong>der</strong><br />

Wirtschaft an Erkenntnissen liefert, vor allem an solchen Erkenntnissen, die zu moralisch<br />

bedenklichen Zwecken verwendet werden könnten. Dies bedarf kaum einer<br />

näheren Erläuterung. Je<strong>der</strong> kennt heute die Geschichte von <strong>der</strong> Entwicklung und<br />

dem Abwurf <strong>der</strong> Atombombe, und die Diskussion über die Anwendung <strong>der</strong> Gentechnik<br />

wird heute öffentlich geführt.<br />

Ist nun das Wertfreiheitsprinzip abzulehnen, wenn man sich zum Prinzip Verantwortung<br />

bekennt? Der Zusammenhang ist nicht so einfach, wie es auf den ersten<br />

Blick scheinen mag. „Wertfreiheit” könnte sich so anhören, als ob damit Ablehnung<br />

jeglicher Verantwortung gemeint sei, und tatsächlich wird sie von manchen Kritikern<br />

so verstanden. Aber so ist sie nicht gemeint. Dies wird deutlich, wenn man sich genauer<br />

ansieht, welche Probleme Max Weber zu lösen gedachte, als er sich mit diesem<br />

Thema befasste: Er lehnte es ab, dass manche seiner Kollegen in ihren Vorlesungen<br />

(„auf dem Kathe<strong>der</strong>”) neben wissenschaftlicher Lehre auch politische und weltanschauliche<br />

Propaganda betrieben, indem sie persönliche Werturteile in ihre sozial-<br />

und wirtschaftswissenschaftlichen Aussagen einfließen ließen; und dies in einer Situation,<br />

wo die Zuhörer nicht wi<strong>der</strong>sprechen konnten und mit <strong>der</strong> Bereitschaft<br />

kommen waren, von einer fachlichen Autorität belehrt zu werden. Weber hielt es für

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