Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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Jetzt nehmen wir an, die Aufgabe würde von Anfang an als eher schwierig<br />
wahrgenommen (We < 0,5), und dann stellt sich heraus, dass sie in Wirklichkeit noch<br />
schwieriger ist. Der Erfolgsmotivierte wird dann die Lust verlieren, und zwar umso<br />
mehr, je weiter die Aufgabe von <strong>der</strong> mittleren Schwierigkeit abrückt. Beim<br />
Misserfolgsvermei<strong>der</strong> aber wird die Aufgabe umso „attraktiver”, je länger er sie<br />
nicht lösen kann und je schwieriger sie ihm daher vorkommt. Ein Erfolgssucher wird<br />
in dieser Situation gerne aufgeben und zu einer an<strong>der</strong>en Aufgabe übergehen. Ein<br />
Misserfolgsvermei<strong>der</strong> aber wird mit Ausdauer bei dieser extrem schwierigen<br />
Aufgabe bleiben, denn bei einem Übergang zu einer an<strong>der</strong>en Aufgabe würde er ja<br />
riskieren, eine mittelschwere Aufgabe zu bekommen, während er jetzt gerade das<br />
geringste Übel vor sich hat.<br />
Das nächste Theorem bezieht sich auf das Anspruchsniveau. Wie verän<strong>der</strong>n<br />
Personen ihr Anspruchsniveau, d.h. welche Schwierigkeit wählen sie beim nächsten<br />
Versuch, wenn sie gerade Erfolg o<strong>der</strong> Misserfolg gehabt haben? Bisher dachte man<br />
immer, dass Erfolg allgemein dazu anspornt, „die Latte höher zu legen”, während<br />
Misserfolg dazu führt, eine geringere Schwierigkeit zu probieren. Aber die Theorie<br />
macht eine differenziertere Aussage: Die Misserfolgsvermei<strong>der</strong> verhalten sich<br />
an<strong>der</strong>s, auf eine Weise, die vielen merkwürdig erscheinen mag (Ich überlasse es<br />
diesmal den Lesern, das Theorem aus den Axiomen abzuleiten):<br />
TAnspr: Erfolgssucher wählen bei Erfolg beim nächsten Versuch eine schwierigere<br />
Aufgabe, bei Misserfolg eine leichtere Aufgabe; Misserfolgsvermei<strong>der</strong><br />
wählen nach Erfolg beim nächsten Versuch eine leichtere Aufgabe und bei<br />
Misserfolg eine schwierigere Aufgabe, falls sie durch diese Wahl besser von<br />
dem Schwierigkeitsniveau 0,5 abrücken können.<br />
Die angeführten Axiome und Theoreme ergeben eine bestimmte deduktive Struktur.<br />
Sehen Sie dazu die Abbildung auf <strong>der</strong> nächsten Seite: Wenn wir die Axiome in eine<br />
Zeile schreiben und die Theoreme darunter, so kann man Pfeile nach unten zeichnen,<br />
was dann bedeutet: Aus diesen Axiomen ist jenes Theorem ableitbar. Und aus<br />
Theoremen können wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Theoreme abgeleitet werden.<br />
Alle Aussagen <strong>der</strong> Theorie sind Gesetzesaussagen. Die Axiome nennt man auch die<br />
Grundgesetze <strong>der</strong> Theorie, die Theoreme die abgeleiteten Gesetze. Da es sich um<br />
Gesetzesaussagen handelt, ist eine Formel wie z.B. „Te = Me · We · Ae” nicht die<br />
ganze Aussage. Diese würde etwa so lauten:<br />
Für alle Personen x und alle Situationen s: Wenn x in s die Möglichkeit wahrnimmt,<br />
eine Wahl zwischen verschiedenen leistungsbezogenen Handlungen zu treffen, dann<br />
wird die Tendenz von x, durch die gewählte Handlung Erfolg zu suchen, folgende<br />
Stärke haben: Te = Me · We · Ae.<br />
Dies ist natürlich etwas umständlich, und daher verwendet kein Wissenschaftler<br />
diese ganze Formulierung. Man benötigt sie nur, wenn es in <strong>der</strong>