Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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Da man nun niemals mit Sicherheit ausschließen kann, dass HW einen Irrtum<br />
enthält, muss es grundsätzlich erlaubt sein, eine Hypothese gegen einen Befund ¬P,<br />
<strong>der</strong> sie in Frage stellt, zu verteidigen. Man kann argumentieren, dass <strong>der</strong> Fehler nicht<br />
bei <strong>der</strong> Hypothese zu suchen ist, son<strong>der</strong>n in einer <strong>der</strong> vorausgesetzten<br />
Hilfsannahmen.<br />
Aber sind Hypothesen unter diesen Umständen überhaupt noch falsifizierbar?<br />
Eröffnet diese Strategie nicht die Möglichkeit, an einer Hypothese für immer<br />
festzuhalten, indem man nach je<strong>der</strong> empirischen Untersuchung, die nicht das<br />
vorhergesagte Ergebnis bringt, den Hilfsannahmen die Schuld gibt?<br />
Tatsächlich könnte man durch diese Strategie Hypothesen gegenüber Kritik<br />
„immunisieren”. Daher müssen wir <strong>der</strong> hypothetisch-deduktiven Lehre, so wie sie<br />
oben in Form von 6 Punkten zusammengefasst wurde, etwas hinzufügen:<br />
Wer eine Hypothese gegenüber einem Befund ¬P verteidigen will, muss in <strong>der</strong> Lage<br />
sein, die falsche Hilfsannahme aufzuzeigen. Angenommen, ein Befund ¬P spricht<br />
gegen H. Die Untersuchung wird von an<strong>der</strong>en Forschern wie<strong>der</strong>holt, und das<br />
Ergebnis ist ebenfalls ¬P. Dies würde nun eine Falsifikationsentscheidung<br />
rechtfertigen. Anhänger <strong>der</strong> Hypothese H wenden aber gegen eine Falsifikationsentscheidung<br />
ein, dass nach ihrer Überzeugung eine falsche Operationalisierungsannahme<br />
im Spiel war. Damit ist die Falsifikationsentscheidung<br />
aufgeschoben, den Verteidigern von H ist aber die Pflicht auferlegt, den Fehler<br />
aufzuzeigen. Sie können z.B. nachzuweisen versuchen, dass <strong>der</strong> Fragebogen nicht<br />
valide ist, dass das verwendete physikalische Messinstrument nicht richtig<br />
funktioniert o<strong>der</strong> dass es in gewissen Bereichen unzuverlässige Werte erbringt usw.<br />
Wenn dies gezeigt werden kann, ist es vorläufig nicht mehr gerechtfertigt, ¬P gegen<br />
H ins Feld zu führen. Man wird dann eine neue Untersuchung zu H planen, die mit<br />
einer besseren Operationalisierung arbeitet.<br />
Aber angenommen, die Verteidiger von H können den behaupteten Fehler im<br />
Hintergrundwissen nicht ausfindig machen. Und nehmen wir weiter an, dass sie bei<br />
jedem neuen Befund, <strong>der</strong> gegen H spricht, ebenfalls nur behaupten, dass HW einen<br />
Fehler enthält, ohne ihn aufzeigen zu können. In diesem Fall wird ihre<br />
Verteidigungsstrategie völlig an Glaubwürdigkeit verlieren, und man wird es als<br />
zunehmend gerechtfertigt erachten, H als falsifiziert anzusehen.<br />
Auch wenn man also Falsifikationsentscheidungen als revidierbar erachtet, heißt dies<br />
nicht, dass es stets völlig beliebig ist, ob man an geprüften Hypothesen festhält o<strong>der</strong><br />
sie aufgibt. Die Entscheidung ist nur schwieriger, als es oben zunächst dargestellt<br />
worden ist. Wir fügen den 6 Punkten aus Kapitel 6 Folgendes hinzu:<br />
7) Bei wissenschaftlichen Gesetzeshypothesen bzw. Theorien müssen in <strong>der</strong> Regel<br />
Hilfsannahmen (Operationalisierung, Hintergrundwissen) gemacht werden, um<br />
eine Prüfvorhersage P abzuleiten.