Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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Einsatz bringt, wenn es gilt, Probleme zu lösen. Die erste ist die Erfahrung, die<br />
Erkenntnis mit Hilfe <strong>der</strong> Sinnesorgane. Sie wird angewendet, wenn man auf die Uhr<br />
schaut o<strong>der</strong> prüft, wie heiß die Suppe ist, o<strong>der</strong> aber, wenn man zählt, wie viele<br />
Fragen eines Fragebogens eine Person mit „ja” beantwortet hat. Wenn Erfahrung mit<br />
Absicht und Aufmerksamkeit betrieben wird, handelt es sich um Beobachtung.<br />
Erfahrung ist als Erkenntnisquelle für die Realwissenschaften unerlässlich. Sie stellt<br />
für den menschlichen Geist sozusagen die Verbindung zur realen Welt her.<br />
Die zweite Erkenntnisfähigkeit ist das Denken, <strong>der</strong> Verstand. Mit seiner Hilfe werden<br />
Fragen aufgeworfen, hypothetische Möglichkeiten ausgedacht, Schlussfolgerungen<br />
gezogen. Erfahrung allein führt niemals über das hier und jetzt Gegebene hinaus. Sie<br />
sagt nichts über die Vergangenheit, nichts über die Zukunft und schon gar nichts<br />
über allgemeine Zusammenhänge und Gesetze. Erkenntnisse hierüber liefern uns<br />
erst Erfahrung und Denken zusammen.<br />
Dies hört sich ein wenig trivial an, aber dahinter stecken schwierigste erkenntnistheoretische<br />
Probleme. Sie tauchen auf, wenn man genauer nachfragt, wie das<br />
geht, dass durch das Zusammenspiel von Erfahrung und Denken solche Erkenntnis<br />
herauskommt, wie sie von den Wissenschaften angestrebt wird. Sehen wir uns<br />
einmal genauer an, wie beschränkt sowohl Erfahrung als auch Denken jeweils für<br />
sich allein sind, wenn es darum geht, die Welt zu erkennen.<br />
Mit Hilfe <strong>der</strong> Erfahrung kann man Tatsachen erkennen, wie sie etwa durch folgende<br />
singulären Aussagen beschrieben werden: Hier steht ein Tisch aus Holz. – In diesem<br />
Raum befinden sich drei Personen. – Der Zeiger dieses Messinstruments zeigt auf<br />
eine Stelle zwischen den Ziffern 3 und 4. – Peter hat zu Frage 40 dieses Fragebogens<br />
die Antwort „ja” angekreuzt. – Solche singulären Aussagen, die sich auf gut<br />
beobachtbare Sachverhalte beziehen, nennt man Beobachtungsaussagen.<br />
Wissenschaftliche Gesetze gehen in zweierlei Hinsicht über Beobachtungsaussagen<br />
hinaus. Erstens sprechen sie nicht von einzelnen, auflistbaren Fällen, son<strong>der</strong>n von<br />
allen Fällen einer bestimmten Art. Man kann diese niemals alle beobachten, schon<br />
allein deshalb, weil auch zukünftige Fälle gemeint sind. Eine wesentliche Leistung<br />
eines Gesetzes besteht darin, uns Wissen über die Zukunft zu ermöglichen, indem<br />
wir Vorhersagen machen. Zweitens handeln viele Gesetze von Gegenständen und<br />
Eigenschaften, die sich <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung entziehen. Nicht<br />
beobachten kann man z.B. die Teile von Atomen und die Kräfte, die zwischen ihnen<br />
wirken; ebensowenig die Gedanken und Gefühle an<strong>der</strong>er Personen (wahrnehmen<br />
kann man nur, wie diese sich im Verhalten äußern). Es ist ein wesentlicher Zug <strong>der</strong><br />
Wissenschaft, dass sie nicht nur nach dem fragt, was hier und jetzt in <strong>der</strong> erfahrbaren<br />
Welt passiert. Sie will darüber hinaus erstens ergründen, was die Gesetze dieser Welt<br />
sind. Und sie will zweitens die erfahrbaren Tatsachen erklären, indem sie<br />
herauszufinden versucht, was sich hinter <strong>der</strong> Oberfläche <strong>der</strong> Erfahrungswelt<br />
abspielt. Die Frage ist also: Wie kann man vordringen zur Erkenntnis (1) des