Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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Die Gegenposition zum wissenschaftstheoretischen Realismus behauptet nun, dass<br />
es im Bereich des nicht Beobachtbaren nicht sinnvoll ist, von realen Gegenständen<br />
und Tatsachen zu sprechen. Die Möglichkeit, beschreibende Aussagen zu<br />
formulieren und zu begründen, gibt es nur in Bezug auf erfahrbare, beobachtbare<br />
Objekte. Danach dürfen wir z.B. für real halten, dass <strong>der</strong> Tisch vor uns steht und dass<br />
er vier Beine hat, nicht aber, dass Wassermoleküle existieren und die Struktur H2O<br />
haben. Von den sogenannten theoretische Entitäten hat es we<strong>der</strong> Sinn zu behaupten,<br />
dass sie existieren noch dass sie nicht existieren; denn beides, sagt diese<br />
Gegenposition, können wir nicht begründen.<br />
Eine Hypothese o<strong>der</strong> Theorie, z.B. die Annahme, dass Wasser aus H2O-Molekülen<br />
besteht, ist einfach als eine nützliche Annahme aufzufassen, die zu gewissen Zwecken<br />
gemacht wird; manchmal wird auch gesagt, sie sei „bloß ein Modell” o<strong>der</strong> eine<br />
„Fiktion”. Theorien sind danach keine darstellenden Aussagen, son<strong>der</strong>n etwas<br />
an<strong>der</strong>es: Instrumente zur Ordnung und zur Vorhersage von Beobachtungen. Man<br />
bezeichnet diese Position daher als Instrumentalismus.<br />
Der Instrumentalismus hält das Ziel des Realismus für nicht erreichbar, über solche<br />
Gegenstände wie Atome, Gene o<strong>der</strong> die Struktur des Weltalls Aussagen zu machen,<br />
die wahr o<strong>der</strong> falsch sein können, und zu begründen, dass sie wahr o<strong>der</strong> falsch sind.<br />
Wozu befassen sich dann Wissenschaftler mit solchen Sachverhalten und sprechen<br />
von ihnen? Theoretische Begriffe und die Aussagen, in denen sie vorkommen, haben<br />
nach instrumentalistischer Auffassung keine Darstellungsfunktion, son<strong>der</strong>n sind<br />
Instrumenten vergleichbar: Mit ihrer Hilfe kann man von gegebenen Beobachtungsdaten<br />
Schlüsse auf künftige Daten vornehmen. Theorien sind nicht wahr<br />
o<strong>der</strong> falsch, son<strong>der</strong>n mehr o<strong>der</strong> weniger nützlich. Nützlichkeit bedeutet, dass man<br />
mit Hilfe einer guten Theorie zutreffende Vorhersagen über den Bereich des<br />
Beobachtbaren machen und sich dies auch für die Gestaltung <strong>der</strong> Welt zunutze<br />
machen kann. Mit Hilfe von Theorien kann man vorhersagen, wie sich ein<br />
bestimmtes Material bei einer bestimmten Belastung verhalten wird, man kann<br />
vorhersagen, wie ein bestimmtes Medikament wirken wird usw.. Weiterhin haben<br />
Theorien den Nutzen, dass sie helfen, die Vielzahl <strong>der</strong> Beobachtungsergebnisse und<br />
speziellen Hypothesen zu systematisieren bzw. zu ordnen. Instrumentalisten legen<br />
beson<strong>der</strong>en Wert auf die Einfachheit von Theorien, denn eine einfache Theorie<br />
vermag mit wenigen Begriffen und Annahmen viele Beobachtungsergebnisse zu<br />
ordnen.<br />
Ein gutes historisches Beispiel, das den Unterschied zwischen Wahrheit und<br />
Nützlichkeit illustriert, ist die Kopernikanische Theorie. Viele ihrer Befürworter<br />
fassten sie realistisch auf, d.h. sie glaubten Gründe dafür zu haben, dass sich die<br />
Planeten einschließlich <strong>der</strong> Erde wirklich in Kreisbahnen um die Sonne bewegen. Die<br />
Gegner <strong>der</strong> Theorie bestritten dies, hielten es für unvereinbar mit <strong>der</strong> kirchlichen<br />
Lehre und beharrten darauf, dass die Erde <strong>der</strong> Mittelpunkt sei, um den sich alle