Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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Mangel an Intelligenz o<strong>der</strong> Vernunft, son<strong>der</strong>n aufgrund fehlen<strong>der</strong> technischer<br />
Möglichkeiten)?<br />
Das Beispiel macht deutlich, dass die Frage nach <strong>der</strong> Wahrheit auf etwas abzielt, das<br />
sich einfach nicht auf einen Konsens reduzieren lässt, so raffiniert man auch die<br />
Bedingungen fasst, unter denen er zustande kommt. Wie auch immer diese<br />
Bedingungen sind, man kann sich stets die Möglichkeit eines kollektiven Irrtums<br />
vorstellen. Die Suche nach <strong>der</strong> Wahrheit ist eben <strong>der</strong> Versuch, etwas zu erfassen, das<br />
den Aussagen und Überzeugungen gegenüber steht, von ihnen unabhängig ist und<br />
sich daher nicht als Übereinstimmung allein zwischen Aussagen untereinan<strong>der</strong><br />
(Kohärenz) o<strong>der</strong> zwischen Zustimmungsakten (Konsens) definieren lässt. Diesem<br />
Aspekt trägt allein die Korrespondenztheorie Rechnung.<br />
9.2 Theorie und Realität<br />
Wissenschaftliche Theorien handeln in <strong>der</strong> Regel von Gegenständen, die nicht o<strong>der</strong><br />
allenfalls mit speziellen Hilfsmitteln beobachtbar sind (Atome, Gene). Aussagen über<br />
solche Gegenstände können auf zwei verschiedene Weisen interpretiert werden. Um<br />
dies zu erläutern, ist es zunächst notwendig, den Gedanken des Realismus in <strong>der</strong><br />
Erkenntnis einzuführen. Die natürliche Weltauffassung ist realistisch. Menschen im<br />
Alltag gehen davon aus, dass die Dinge, die sie sehen und anfassen, real sind. Die<br />
Möbel o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>en Personen verschwinden nicht, wenn man nicht mehr<br />
hinsieht, sie sind objektiv vorhanden, nicht nur in unserer Vorstellung. Wir nehmen<br />
auch an, dass <strong>der</strong> Tisch wirklich rechteckig ist, dass in Paris wirklich <strong>der</strong> Eiffelturm<br />
steht, dass wirklich Menschen auf dem Mond gelandet sind, dass all dies Tatsachen<br />
sind und wir Gründe haben, sie für solche zu halten.<br />
Die Wissenschaft bestätigt nicht alles, was man im Alltag für Tatsachen hält, und sie<br />
fügt weiterhin dem Alltagsdenken Tatsachen hinzu, die diesem fremd sind,<br />
zumindest solange, bis sie allmählich ins Allgemeinwissen einfließen. Oft wird<br />
gesagt, das Alltagsdenken enthalte einen naiven Realismus, die Wissenschaft<br />
hingegen einen kritischen Realismus. „Naiver Realismus” meint hierbei den Glauben,<br />
dass alles objektiv so sei, wie es in <strong>der</strong> Wahrnehmung erscheint. Man beachte nun,<br />
dass Personen im Alltag durchaus nicht völlig naiv sind. Sie wissen, dass <strong>der</strong> entfernte<br />
Turm nicht wirklich klein ist und beim Näherkommen größer wird, dass <strong>der</strong><br />
Stock, <strong>der</strong> im Wasser gebrochen aussieht, nicht wirklich gebrochen ist. Es gehört zu<br />
den grundlegenden Erfahrungen auch des Alltagsdenkens, dass man sich täuschen<br />
kann und dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Bereits das<br />
Alltagsdenken stellt also, zumindest in Ansätzen, einen kritischen Realismus dar,<br />
wenn auch die Wissenschaft viele Alltagsüberzeugungen korrigiert und durch<br />
an<strong>der</strong>e Annahmen ersetzt.