Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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Wie schwer ist diese Eisenkugel? Die Frage ist zu unbestimmt, um beantwortet zu<br />
werden. Ist „schwer nach Messverfahren 1” gemeint o<strong>der</strong> „schwer nach<br />
Messverfahren 2” usw.?<br />
– Dadurch kommt es zu einer entsprechenden Inflation von Gesetzen, und eventuell<br />
zu einer Inkonsistenz zwischen ihnen. „Metalle dehnen sich bei Erhitzung aus” ist<br />
nicht länger ein Gesetz, son<strong>der</strong>n für jeden Begriff ein an<strong>der</strong>es. Wenn wir für<br />
Temperatur drei und für Ausdehnung zwei Messmethoden haben, kommen wir auf<br />
sechs Gesetzesaussagen. Kurz: Anstatt einer Systematisierung von Gesetzen durch<br />
eine Theorie mit einigen wenigen Grundannahmen erhielte man eine<br />
unüberschaubare Vielfalt von einzelnen Gesetzen.<br />
– Mit operational definierten Begriffen kann man keine sinnvollen Kausalaussagen<br />
machen und keine Erklärungen vornehmen. Normalerweise kann man sagen „Die<br />
Gravitation bewirkt, dass <strong>der</strong> Stein nach unten fällt”; diese Aussage würde aber<br />
unsinnig, wenn Gravitation als Messwert definiert würde. Der Messwert bewirkt das<br />
Fallen nämlich nicht. Die Möglichkeit, durch Verweis auf die Gravitation (o<strong>der</strong><br />
Intelligenz, Leistungsmotivation) etwas zu erklären, wäre aufgehoben.<br />
– Theorien würden ihre heuristische Funktion verlieren. Man könnte sie nicht mehr auf<br />
neue Gebiete anwenden. Zu den Leistungen von Theorien, die beson<strong>der</strong>s geschätzt<br />
werden, gehört die Entdeckung neuartiger Vorhersagen im Rahmen von<br />
Anwendungen auf neue Gebiete. So hat man z.B. die klassische Mechanik später mit<br />
Erfolg auf die Phänomene <strong>der</strong> Wärme angewendet. Und die Theorie <strong>der</strong><br />
Leistungsmotivation erlaubte Vorhersagen über Ausdauer beim Lösen von<br />
Problemen, was bei <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong> Theorie noch nicht bekannt war. Diese<br />
Leistung würde eine Theorien verlieren, wenn man ihre Begriffe operational<br />
definiert, denn nach einer solchen Definition bezieht sich jedes Gesetz <strong>der</strong> Theorie<br />
nurmehr auf eine ganz bestimmte Situation, in <strong>der</strong> mit bestimmten Methoden<br />
gemessen wird, und auf an<strong>der</strong>e Situationen, in denen diese Art <strong>der</strong> Messung keinen<br />
Sinn macht, ist das betreffende Gesetz nicht anwendbar.<br />
– Mit operational definierten Begriffen könnte man schließlich auch keine Erkenntnis<br />
über nicht Beobachtbares ausdrücken, denn diese Begriffe sind ja so definiert, dass<br />
sie sich nurmehr auf Beobachtbares beziehen. Aussagen, in denen Ausdrücke wie<br />
„Atom” und „Gen” vorkommen, wären dann nur Abkürzungen für längere<br />
Aussagen, in denen gar nicht von Atomen o<strong>der</strong> Genen die Rede ist, son<strong>der</strong>n nur von<br />
Zeigerstellungen <strong>der</strong> Messgeräte und Ähnlichem.<br />
Diese Kritikpunkte führten schließlich dazu, dass <strong>der</strong> Operationalismus als eine<br />
unhaltbare Auffassung angesehen wurde. Dies war zugleich auch ein großes<br />
Problem für den logischen Positivismus, es war einer <strong>der</strong> beiden Punkte, auf die man<br />
später sein Scheitern zurückführte. (Das an<strong>der</strong>e Problem war das Scheitern des<br />
Induktivismus.)