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Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...

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zunächst keine Idee, was das ungewöhnliche Verhalten eines Menschen bedingen<br />

könnte. Ein Hineinversetzen, eine Betrachtung „von innen”, erschließt uns das<br />

gesuchte Motiv. Es ist nicht garantiert, dass dies immer funktioniert, aber im Großen<br />

und Ganzen dürfte es von Vorteil sein, bei <strong>der</strong> Suche nach Motiven von <strong>der</strong> Methode<br />

des inneren Hineinversetzens Gebrauch zu machen.<br />

Wenn es nun gelingt, die Beweggründe eines Handelnden zu verstehen, so liefert<br />

dies weiterhin eine beson<strong>der</strong>e Art von Erkenntnis. Ein Vergleich mit einer<br />

physikalischen Erklärung macht dies klar. Eine physikalische Theorie spricht z.B.<br />

von <strong>der</strong> Gravitationskraft o<strong>der</strong> von Elektronen und bietet damit eine Erklärung <strong>der</strong><br />

Bewegung <strong>der</strong> Planeten o<strong>der</strong> bestimmter chemischer Reaktionen. In gewisser Weise<br />

bleiben uns die Gravitationskraft und die Elektronen jedoch „unbekannt”. Wir<br />

können sie nicht so wie alltägliche Gegenstände wahrnehmen. Ein Elektron ist ein<br />

Etwas, das in einer physikalischen Formel vorkommt, mit <strong>der</strong>en Hilfe man<br />

zutreffende Vorhersagen berechnen kann. Aber dieses Etwas ist nicht wahrnehmbar<br />

und im Grunde auch nicht vorstellbar.<br />

Einen Beweggrund, den wir jemandem unterstellen, können wir auch nicht direkt<br />

wahrnehmen. Wir sehen nur das Verhalten, zu dessen Verstehen wir den<br />

Beweggrund annehmen. Aber obwohl wir nun den Beweggrund nicht an <strong>der</strong><br />

handelnden Person sehen können, wissen wir aus <strong>der</strong> inneren Erfahrung, was es ist,<br />

das wir <strong>der</strong> handelnden Person zusprechen. Es ist etwas, das wir selbst auch schon<br />

erlebt haben, und von daher ist es uns unmittelbar bekannt.<br />

Eine letzte Frage: Kann man alles verstehen, was man erklären kann?<br />

In vielen Fällen können wir uns in die psychischen Vorgänge an<strong>der</strong>er Menschen<br />

hineinversetzen. Es gibt aber Grenzen. Können Sie sich z.B. tatsächlich in den<br />

achtjährigen Schüler hineinversetzen, <strong>der</strong> den Unterricht stört, um auf sich<br />

aufmerksam zu machen? Manche können es vielleicht, an<strong>der</strong>en fällt bereits dies<br />

schwer. Die Fähigkeit zum Nacherleben ist unterschiedlich ausgeprägt. Kann man<br />

sich in einen psychisch erkrankten Menschen hineinversetzen, <strong>der</strong> ein „Wahnsystem”<br />

aufgebaut hat, ein System von sich gegenseitig stützenden (gesunden<br />

Menschen jedoch absurd anmutenden) Annahmen über feindliche Mächte, die ihn<br />

ständig verfolgen? Die meisten können es nicht.<br />

Schwierigkeiten haben wir auch mit Verhaltensweisen aus an<strong>der</strong>en Kulturen. Man<br />

kann sich ein Wissen über diese Kulturen aneignen. Wäre es aber auf diese Weise<br />

möglich zu verstehen, dass einmal Menschenopfer dargebracht worden sind? O<strong>der</strong><br />

dass z.B. in bestimmten islamischen Gesellschaften eine schwerkranke Frau keine<br />

ärztliche Behandlung erhalten kann, wenn nur ein männlicher Arzt zur Verfügung<br />

steht? Es geht hier wohlgemerkt nicht darum, ob diese Praxis gebilligt werden soll<br />

o<strong>der</strong> nicht. Auf Fragen <strong>der</strong> Wertung kommen wir später zu sprechen. Hier geht es<br />

nur darum, ob wir sagen würden: Nachdem ich den Hintergrund <strong>der</strong> betreffenden

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