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Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...

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Ist diese „hypothetisch-deduktive Methode” eine zufriedenstellende Antwort auf die<br />

Frage, wie die Wissenschaften ihre Erkenntnisziele erreichen? Sie ist auf jeden Fall<br />

eine wichtige (meines Erachtens die wichtigste) Antwort auf diese Frage. Zahlreiche<br />

bedeutende Wissenschaftler haben sich zu <strong>der</strong> dargestellten Methode in ihren<br />

Grundzügen bekannt. Wir werden allerdings später sehen, dass es notwendig ist, die<br />

hypothetisch-deduktive Methode, so wie sie hier vorgestellt wurde, in einigen<br />

Punkten zu modifizieren bzw. weiterzuentwickeln. Zuvor soll jedoch diese Methode,<br />

so wie sie bis hierher vorgestellt wurde, anhand eines ausführlichen Beispiels<br />

erläutert werden.<br />

6.2 Eine Fallstudie zur hypothetisch-deduktiven Methode<br />

Die folgende Fallstudie aus dem Bereich <strong>der</strong> Medizin ist gut dazu geeignet, das<br />

Vorgehen nach <strong>der</strong> hypothetisch-deduktiven Methode zu illustrieren.<br />

Von 1844 bis 1848 arbeitete am Wiener Allgemeinen Krankenhaus <strong>der</strong> ungarische<br />

Arzt Ignaz Semmelweis. Er war in dieser Zeit mit einem schrecklichen Problem konfrontiert.<br />

Ein großer Teil <strong>der</strong> Frauen, die an <strong>der</strong> Ersten Geburtshilflichen Abteilung<br />

dieses Krankenhauses entbunden wurden, zog sich eine oft tödliche Krankheit zu,<br />

die man Kindbettfieber nannte. 1844 starben 260 von 3157 Müttern, das sind 8,2 Prozent.<br />

1845 waren es fast 6,8 Prozent, und 1846 erreichte die Todesrate 11,4 Prozent.<br />

(Semmelweis hat seine Forschungsergebnisse dargestellt in Ätiologie, Begriff und<br />

Prophylaxis des Kindbettfiebers, Leibzig 1912; eine Zusammenfassung findet sich in C.<br />

G. Hempel, Philosophie <strong>der</strong> Naturwissenschaften, München 1974.)<br />

Um etwas gegen die Krankheit tun zu können, musste Semmelweis Hypothesen zu<br />

ihrer Erklärung entwickeln und diese Hypothesen prüfen. Er befasste sich zunächst<br />

mit einigen damals vertretenen Hypothesen und wies sie als unvereinbar mit den<br />

Tatsachen zurück. Eine davon, wir nennen sie H 1, führte das Kindbettfieber auf<br />

„epidemische Einflüsse“ zurück. Semmelweis fand, dass H 1 durch die bereits<br />

bekannten Fakten wi<strong>der</strong>legt wird: Wenn H 1 zutreffend wäre, dann müsste es etwa<br />

gleich viele Todesfälle auf <strong>der</strong> Zweiten Geburtshilflichen Abteilung geben. Dort<br />

betrug die Todesrate aber nur zwischen 2 und 3 Prozent. Außerdem gab es kaum<br />

einen vergleichbaren Krankheitsfall in <strong>der</strong> übrigen Stadt Wien, was bei einer<br />

Epidemie wie z.B. <strong>der</strong> Cholera zu erwarten gewesen wäre. Und es gab noch ein<br />

Faktum, das gegen H 1 sprach: Einige Frauen, die in die Erste Abteilung<br />

aufgenommen worden waren, aber weit entfernt wohnten, wurden auf ihrem Weg<br />

von Wehen befallen und entbanden auf <strong>der</strong> Straße. Trotzdem war die Todesrate bei<br />

diesen „Straßengeburten“ niedriger als in <strong>der</strong> Ersten Abteilung.

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