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Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...

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die Frage, ob ihr Gefühl des Verstehens gerechtfertigt ist. Es könnte ja völlig daneben<br />

gegangen sein. Es ist also gut, wenn die Lehrerin über ein pädagogisches Wissen<br />

verfügt, das vielleicht Folgendes enthält: Wenn sich ein Schüler im Unterricht<br />

vernachlässigt fühlt, und wenn er eine extravertierte Persönlichkeit besitzt, dann<br />

besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass er durch Unterrichtsstörung auf sich<br />

aufmerksam macht. Ein solches Wissen ist aber nichts an<strong>der</strong>es als die Kenntnis einer<br />

bewährten allgemeinen Hypothese. Woher sonst sollte ein <strong>der</strong>artiges Wissen<br />

kommen? Ein Experte <strong>der</strong> Pädagogik sollte sich von einem normalen Menschen<br />

dadurch unterscheiden, dass er an Stelle von bloßen Intuitionen und eventuell<br />

Vorurteilen eine Vielzahl von bewährten Hypothesen kennt. Viele Laien und viele<br />

Lehrer vergangener Generationen besitzen z.B. das hier erwähnte Wissen nicht, für<br />

sie war daher Unterrichtsstörung immer zu „verstehen” als eine „Frechheit”, die<br />

bestraft werden muss.<br />

Wenn ein Pädagoge viele bewährte Hypothesen über sein Gebiet kennt, und wenn er<br />

sie so gut kennt, dass sie ihm je<strong>der</strong>zeit zur Verfügung stehen, ohne dass er<br />

angestrengt darüber nachdenken muss, dann wird ihm dieses Wissen in vielen<br />

Situationen behilflich sein, relevante Beobachtungen zu machen und zu einem guten<br />

Verständnis dessen zu gelangen, was die Schüler tun und warum sie es tun.<br />

Damit ist jedoch ein weiterer Punkt zu klären: Gibt es in den Human- und<br />

<strong>Sozialwissenschaften</strong> Gesetze? Der schwerste Einwand, <strong>der</strong> gegen die nomologische<br />

Erklärung in den Wissenschaften vom Menschen vorgebracht worden ist, lautet, dass<br />

es die für eine Erklärung benötigten nomologischen Hypothesen dort nicht gäbe.<br />

Diese Kritik ist durchaus nicht abwegig, wie es von <strong>der</strong> Gegenseite manchmal<br />

gesehen wird. Sie wäre sogar berechtigt, wenn man die nomologische Auffassung so<br />

verstehen würde, dass sie stets Erklärungen mit deterministischen Gesetzen verlangt.<br />

Wie oben schon aufgezeigt wurde, lassen sich deterministische Gesetze im Bereich<br />

menschlichen Verhalten kaum finden. Wie ebenfalls aufgezeigt wurde, gibt es dort<br />

aber Gesetze abgeschwächter Form, nämlich Ceteris-paribus-Gesetze und<br />

probabilistische Gesetze. Nomologische Erklärungen in den Wissenschaften vom<br />

Menschen müssen sich im Allgemeinen mit solchen Gesetzen begnügen. Damit<br />

entfällt aber <strong>der</strong> Haupteinwand, <strong>der</strong> von seiten <strong>der</strong> antinomologischen Position ins<br />

Feld geführt wird.<br />

Diese Analyse hat Verstehen und Erklären einan<strong>der</strong> erheblich näher gebracht. Es<br />

bleibt <strong>der</strong> Unterschied, dass beim Verstehen ein Nacherleben im Spiel ist. Dieser<br />

Aspekt bleibt erhalten, auch wenn man zugesteht, dass Verstehen auf nomologische<br />

Hypothesen nicht verzichten kann. Wie ist dieses Element des Nacherlebens zu<br />

beurteilen? Bietet es Vorteile gegenüber dem Erklären ohne Nacherleben?<br />

Wer Erklärungen menschlichen Handeln vornehmen will, muss die Beweggründe<br />

auffinden, was manchmal schwierig ist. Das Hineinversetzen in die Situation des<br />

Handelnden kann hier ein Vorteil sein. Bei Betrachtung „von außen” haben wir

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