Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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glauben o<strong>der</strong> nicht glauben. Solche unprüfbaren Aussagen sind in<br />
wissenschaftlichen Erklärungen nicht zulässig.<br />
Bedingung 4: Die Aussagen, die zu Erklärungszwecken angeführt werden, sollen<br />
belegte, begründete Aussagen sein. In Bezug auf die Anfangsbedingungen wird dies<br />
gewährleistet, indem man die Sachverhalte A1, A2, ... An sorgfältig beobachtet,<br />
eventuell entsprechende Messungen durchführt. Und von den Gesetzesaussagen<br />
wird verlangt, dass sie Gesetze sind, d.h. anhand von Beobachtungen bereits<br />
überprüft und bestätigt wurden. Wenn eine Erklärung Bedingung 4 nicht erfüllt,<br />
jedoch die an<strong>der</strong>en Bedingungen, kann man von einer potentiellen Erklärung<br />
sprechen. Eine potentielle Erklärung kann zu einer Erklärung werden, wenn es<br />
gelingt, die Explanans-Aussagen zu bestätigen.<br />
Angenommen, eine Erklärung erfüllt alle Adäquatheitsbedingungen. Haben wir<br />
dann die Garantie, dass diese Erklärung die wahre Erklärung für das fragliche<br />
Explanandum ist? Interessanterweise ist dies nicht so. Betrachten Sie dazu ein<br />
makabres Beispiel, wie Sie es vermutlich aus Kriminalgeschichten kennen: Man<br />
bekommt zunächst Indizien dafür geliefert, dass eine Person p durch eine bestimmte,<br />
eventuell selbst herbeigeführte Maßnahme ums Leben gekommen ist (Explanandum<br />
B), sagen wir, durch Ertrinken (Anfangsbedingung A). Dann stellen die<br />
Kriminalisten aber plötzlich fest, dass p zwar alle Merkmale einer Wasserleiche<br />
aufweist, aber doch nicht durch Ertrinken (A) ums Leben gekommen ist, son<strong>der</strong>n<br />
vorher noch einen tödlichen Schlag auf den Kopf erhielt, erwürgt wurde o<strong>der</strong><br />
Ähnliches (Anfangsbedingung A’). Was liegt hier vor, wissenschaftstheoretisch<br />
gesehen? Wir haben Indizien dafür, dass p so lange unter Wasser war und die<br />
Lungen mit Wasser gefüllt hat (Anfangsbedingung A), dass dies allein hinreichend<br />
für ihren Tod (B) war. Ein entsprechendes Gesetz, wonach A immer zu B führt, ließe<br />
sich leicht formulieren und empirisch belegen. Auch die Anfangsbedingung A ist für<br />
p empirisch belegt. Damit sind die Bedingungen für eine adäquate Erklärung erfüllt.<br />
Dennoch liefert uns diese adäquate Erklärung hier nicht die wahren Gründe für das<br />
Explanandum B. Und Vergleichbares kann bei jedem Erklärungsversuch passieren.<br />
Dies bedeutet nicht, dass eine im definierten Sinne adäquate Erklärung zweifelhaft<br />
und wenig wert wäre. Es bedeutet nur, dass sie keine Garantie dafür gibt, auch die<br />
wahre Erklärung zu sein. Und dies heißt wie<strong>der</strong>um, dass man, wenn man eine<br />
Erklärung gefunden hat, die den Adäquatheitsbedingungen genügt, immer noch die<br />
Frage stellen muss: Könnte es noch eine an<strong>der</strong>e Erklärung geben? Haben wir an<strong>der</strong>e<br />
potentielle Ursachen beachtet und können wir sie ausschließen? Mit entsprechendem<br />
Fachwissen und methodischem Vorgehen kann man oft an<strong>der</strong>e Erklärungen ziemlich<br />
gut ausschließen. Und dann kann man argumentieren: Obwohl es keine völlige<br />
Sicherheit geben kann, dass dies die wahre Erklärung ist, spricht doch alles<br />
Erdenkliche dafür, nachdem an<strong>der</strong>e Erklärungsmöglichkeiten sorgfältig geprüft<br />
wurden und verworfen werden konnten.