Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...
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11. Verstehen und Erklären<br />
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Wir haben uns zu Beginn dieser Veranstaltung mit dem Erklären beschäftigt und im<br />
Zusammenhang damit die nomologische Zielsetzung erläutert: Die empirischen<br />
Wissenschaften haben das Ziel, in ihrem jeweiligen Bereich Gesetze zu finden, die<br />
dann für Erklärungen und Vorhersagen sowie zur Lösung praktischer Probleme<br />
herangezogen werden sollen. Dabei wurde vorläufig davon ausgegangen, dass diese<br />
Zielsetzung für alle empirischen Wissenschaften dieselbe ist, d.h. für die<br />
Naturwissenschaften Physik, Chemie und Biologie ebenso wie für die Human- und<br />
<strong>Sozialwissenschaften</strong>.<br />
Oben wurde schon angedeutet, dass diese Position einer einheitlichen Zielsetzung<br />
aller empirischen Wissenschaften nicht von allen Wissenschaftsphilosophen geteilt<br />
wird. Einige vertreten nämlich die Auffassung, dass in den Human-und<br />
<strong>Sozialwissenschaften</strong> das nomologische Erklären unangemessen ist. Stattdessen wird<br />
die Methode des Verstehens vorgeschlagen. Im Folgenden werden zwei<br />
Denkrichtungen vorgestellt, die das Verstehen befürworten.<br />
11.1 Verstehen als Nacherleben<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts begründete Wilhelm Dilthey (1833-1911) eine Lehre<br />
vom Verstehen. Sie war dazu bestimmt, den Geisteswissenschaften (im Gegensatz zu<br />
den Naturwissenschaften) eine methodische Grundlage zu geben. Seine Lehre ist<br />
wesentlich beeinflusst durch Gedanken <strong>der</strong> Philosophen Hegel und Schopenhauer.<br />
(Zum Vergleich: Die <strong>Wissenschaftsphilosophie</strong>, die Sie bisher in dieser Veranstaltung<br />
kennen gelernt haben, steht eher in <strong>der</strong> Denktradition <strong>der</strong> Philosophen Hume und<br />
Kant.)<br />
Die für unser Thema wichtigen Aussagen Diltheys lassen sich so zusammenfassen:<br />
Die anorganische Natur können wir nur „von außen” betrachten. Die Ereignisse in<br />
dieser Natur versuchen wir zu erklären, durch Verweis auf Gesetze und Ursachen.<br />
Dies ist die Methode <strong>der</strong> Naturwissenschaften. An<strong>der</strong>s ist es in den Wissenschaften<br />
vom Menschen. (Dilthey sprach von den „Geisteswissenschaften”; dies deckt sich<br />
weitgehend mit dem, was wir heute „Human- und <strong>Sozialwissenschaften</strong>” nennen.)<br />
Den Menschen mit seinen Bewusstseinszuständen können wir „von innen her”<br />
erkennen. Wir können uns in die psychischen Zustände <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en hineinversetzen,<br />
weil wir unsere eigenen psychischen Zustände aus <strong>der</strong> inneren Erfahrung kennen.<br />
Durch Hineinversetzen in die Situation eines an<strong>der</strong>en Menschen, durch Nacherleben<br />
können wir dessen Verhalten verstehen. Verstehen ist erlebende Einfühlung, es hat<br />
die Form eines Analogieschlusses.<br />
Dilthey behandelte in seiner Lehre das Verstehen unterschiedlicher „Lebensäußerungen”,<br />
womit er unterschiedliches menschliches Verhalten einschließlich seiner