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Wissenschaftsphilosophie der Sozialwissenschaften - Open ...

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Erzeugnisse meinte. Hierzu gehören sprachliche Äußerungen, nichtsprachliches<br />

Verhalten, vor allem aber die „fixierten Lebensäußerungen”, wie sie etwa in <strong>der</strong><br />

Form eines Romans o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kunstwerks vorliegen. Damit trug Dilthey<br />

wesentlich zur Entwicklung <strong>der</strong> philosophischen Hermeneutik bei.<br />

Verstehen vollzieht sich nach Dilthey auf <strong>der</strong> Grundlage einer Gemeinsamkeit, die er<br />

den „objektiven Geist” nannte. Wir teilen mit an<strong>der</strong>en Menschen Sitten und<br />

Umgangsformen, Kunst, Religion, Recht usw. Von Anfang an ist unsere Sozialisation<br />

durch „Geistiges” in diesem Sinne geprägt. Erst dadurch sind wir dazu in <strong>der</strong> Lage,<br />

die Worte, Gebärden und Mienen an<strong>der</strong>er zu verstehen. Diese kulturellen<br />

Gemeinsamkeiten sind mit dem Ausdruck „objektiver Geist” gemeint.<br />

Was wir alles an Gemeinsamkeiten voraussetzen und verwenden, wird uns oft erst<br />

dann bewusst, wenn sie nicht gegeben sind. Dass wir z.B. ständig dabei sind, die<br />

Worte an<strong>der</strong>er zu verstehen, fällt uns auf, wenn wir mit an<strong>der</strong>en zu tun haben, die in<br />

einer Fremdsprache o<strong>der</strong> in einem Dialekt reden. Ähnlich ist es mit<br />

nichtsprachlichem Verhalten. Wir deuten die Gebärden an<strong>der</strong>er sowie ihr<br />

Mienenspiel, verstehen z.B. die Armbewegung als Gruß o<strong>der</strong> eventuell als Drohung.<br />

In einer an<strong>der</strong>en Kultur kann eine Armbewegung jedoch eine an<strong>der</strong>e Bedeutung<br />

haben, und dies kann zu erheblichen Missverständnissen führen. Wir verstehen die<br />

Armbewegungen eines Dirigenten und das Klatschen <strong>der</strong> Zuhörer. In an<strong>der</strong>en<br />

Kulturen gibt es jedoch Verhaltensweisen, z.B. in Verbindung mit religiösen<br />

Ritualen, die wir nicht auf Anhieb verstehen können. Wir sind dann, um die oben<br />

stehenden Begriffe zu verwenden, mit dem „Geist” dieser Kultur noch nicht<br />

genügend vertraut.<br />

Wenn man das Verstehen dem Erklären gegenüberstellt, denkt man allerdings<br />

weniger an das Verstehen von Worten, und auch nicht an das Verstehen von<br />

Literatur und Kunst. Es ist klar, dass solches Verstehen mit dem Erklären kaum in<br />

Konkurrenz tritt. Das Gebiet, wo beide angeblich konkurrieren, sind die Motive, die<br />

Beweggründe des Handelns. Knüpfen wir hierzu an eines <strong>der</strong> früher verwendeten<br />

Beispiele an. Angenommen, ein Freund o<strong>der</strong> Bekannter verhält sich eines Tages recht<br />

unfreundlich zu Ihnen, ist im Unterschied zu sonst wortkarg, gereizt und etwas<br />

aggressiv. Sie verstehen dieses Verhalten zunächst überhaupt nicht. Sie fragen nach,<br />

ob etwas nicht in Ordnung ist, erhalten aber als Reaktion nur einige abwehrende<br />

Äußerungen. Später erfahren Sie, dass er vor zwei Tagen seine Arbeitsstelle verloren<br />

hat. Nun können Sie sich in seine Situation hineinversetzen und seinen Zustand<br />

nacherleben. Sie fühlen, dass Sie in einer solchen Situation auch so reagieren würden:<br />

ein wenig gereizt und unfreundlich auf Fragen, die im Augenblick weit von ihren<br />

tatsächlichen Problemen entfernt liegen. Sie verstehen nun das etwas aggressive<br />

Verhalten durch einen Analogieschluss von sich auf jemand an<strong>der</strong>s.<br />

Es ist klar, wie man dasselbe Beispiel als nomologische Erklärung zu behandeln<br />

hätte. Es fand eine Frustration statt. Das Frustrations-Aggressions-Gesetz besagt,

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