Herman Nohl und die NS-Zeit
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III. Nach 1945<br />
Das ist <strong>die</strong> Antwort <strong>Nohl</strong>s auf <strong>die</strong> „Not unseres zerschlagenen Volkes“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe<br />
der Gegenwart, 1947, S. 299). Es wurde deshalb so ausführlich zitiert, weil hier im<br />
Gr<strong>und</strong>e das Kernproblem einer ganzen Generation enthalten ist, nämlich <strong>die</strong> Vorstel-<br />
lung, dass der Nationalsozialismus doch auch seine guten Seiten gehabt habe, gerade in<br />
pädagogischer Hinsicht, <strong>die</strong> nicht verworfen, sondern übernommen <strong>und</strong> ausgebaut<br />
werden müssten. Dabei geht das Militär als „Schule der Nation“, als Erziehungseinrich-<br />
tung, bei Männern wie <strong>Nohl</strong> gewiss bis auf <strong>die</strong> Erlebnisse des Ersten Weltkriegs zurück.<br />
Der notwendige Bruch, tiefgehend <strong>und</strong> genau, mit allen reaktionären <strong>und</strong> autoritären<br />
Formen deutscher Pädagogik war für Männer wie <strong>Nohl</strong> völlig <strong>und</strong>enkbar. Das <strong>NS</strong>-<br />
System wird in <strong>die</strong>ser Denkweise zu einer eigentlich unerklärlichen Abweichung, zu<br />
einer Wucherung am „deutschen Volkskörper“ <strong>und</strong> der „deutschen Bewegung“.<br />
7. Vom Wesen der Erziehung (1948) 149<br />
1948 hielt <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong>sen Vortrag auf einer englisch-deutschen Konferenz. Hier, vor den<br />
Alliierten, plä<strong>die</strong>rt <strong>Nohl</strong> vehement dagegen, „ein fremdes Erziehungssystem“ (<strong>Nohl</strong>:<br />
Wesen der Erziehung, 1948, S. 279) nach Deutschland zu übertragen. Entsprechend der<br />
nun existierenden „geschichtlichen St<strong>und</strong>e“ ist es für <strong>Nohl</strong> kein Problem, den engli-<br />
schen Pädagogen Nunn zu zitieren: „Individualität ist <strong>die</strong> Schlüsselposition für alles.<br />
Wenn <strong>die</strong>se Position verloren ist, ist alles verloren.“ (<strong>Nohl</strong>: Wesen der Erziehung, 1948,<br />
S. 281).<br />
<strong>Nohl</strong>, der im Folgenden Gedanken über Pflicht <strong>und</strong> Gehorsam wiederholt, <strong>die</strong> er bereits<br />
in dem Aufsatz „Die geistige Lage des akademischen Nachwuchses“ (1946) in großen<br />
Teilen so schon wortwörtlich formuliert hatte, geht hier noch einen Schritt weiter:<br />
„So entstand im Deutschen eine Dienstwilligkeit <strong>und</strong> ein Bedürfnis, <strong>die</strong>nendes Glied<br />
in einem Ganzen zu sein, <strong>die</strong> ihn subaltern machten. Wer das deutsche Schicksal, <strong>die</strong><br />
deutsche Kraft <strong>und</strong> das deutsche Verbrechen verstehen will, wird sich vor allem <strong>die</strong>se<br />
innere Verbindung von Leistungsforderung, Pflichtbewusstsein <strong>und</strong> Gehorsamshaltung<br />
deutlich machen müssen, <strong>die</strong> eine so hohe Idealität enthält <strong>und</strong> unsere Jugend<br />
begeisterte <strong>und</strong> <strong>die</strong> doch letztlich in eine Entseelung der Individuen mündet<br />
(…).“ (<strong>Nohl</strong>: Wesen der Erziehung, 1948, S. 285)<br />
Hier wird im Gr<strong>und</strong>e ein Programm der notwendigen kritischen Sichtung der Pädagogik<br />
in Deutschland in Theorie <strong>und</strong> Praxis aufgestellt. <strong>Nohl</strong> hätte sicherlich aus eigenem<br />
149 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Vom Wesen der Erziehung, in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949,<br />
S. 279–289. Zuerst abgedruckt in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 3. Jg. (1948),<br />
S. 325–332.<br />
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